Kapitalismuskritik vom preisgekrönten Comedian Olaf Schubert

Wie Dirk B. lernte, den Kapitalismus zu lieben

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Leseprobe

Teil 1

Schwimme niemals mit dem Strom!
Schwimme nicht im Gegenstrom!
Schwimme NEBEN dem Fluss! 
Denn dort kannst du laufen.

„Leg gefälligst dein Handy weg, wenn ich mit dir rede!“, blaffte Albina.
Ich saß am Küchentisch und starrte stirnrunzelnd auf mein Telefon. Die seltsame App, die ich vor drei Tagen gelöscht hatte, war aus heiterem Himmel wieder auf dem Display erschienen. 
„Hörst du mir überhaupt zu, Dirk?“
Ich sah sie an. Weniger der Inhalt der Worte, sondern eher das enervierte Timbre ihrer Intonation ließ mich aufhorchen. Auch die betont deutliche Aussprache meines Vornamens deutete an, dass Gefahr in Verzug war.
„Äh, klar.“ Widerstrebend legte ich das Handy beiseite. „Mach ich doch immer, Schatz.“ 
„Ach.“ Hämisch verzog sie den Mund. „Das wäre mir neu.“
Aus dem Radio trödelten die Acht-Uhr-Nachrichten. Morgendlich voll aufmunitioniert lehnte Albina an der Spüle, in der einen Hand die Kaffeetasse, in der anderen ihre Menthol-Zigarette. Wie immer hatte ich Meino zur Schule gebracht, während Albina ihre Businesstracht angelegt hatte: schwarzes Kostüm, hochhackige Schuhe, perfektes Make-up; der dezente Charme einer modernen Bankfilialleiterin. In Jeans und dem blauen Blouson, den wir vor zwölf Jahren auf unserer ersten gemeinsamen Reise nach Prag gekauft hatten, gefiel sie mir deutlich besser. 
„Und was“, unangenehm siegessicher beugte sie sich vor, „war denn gerade unser Thema?“
Albinas Tonlage und ihr behördliches Erscheinungsbild brachten mich automatisch in die rhetorische Defensive. Die Situation war mir nach langjähriger Beziehung vertraut, ein turnusmäßig stattfindendes Ritual, in dessen Rahmen sie versuchte, Gefühlsausbrüche meinerseits zu provozieren. Wie immer weigerte ich mich allerdings, den berserkernden Rumpelstilz zu geben.
Um mich der emotionalen feindlichen Übernahme zu erwehren, zählte ich gewohntermaßen die toten Fruchtfliegen auf dem Fensterbrett.
Eins. Zwei. Drei.
Doch leider ...
„Ich hab dich was gefragt, Dirk!“
... kam ich nur bis dreizehn. 
Kein gutes Omen.
Meiner ersten Schätzung nach hatten mindestens fünfzig Fruchtfliegen auf dem liebevoll dekoriertem Fensterbrett ein hübsches Grab mit netter Aussicht auf unseren kleinen Garten gefunden. Ich war jedoch willens, die exakte Anzahl der Fruchtfliegenkadaver zu ermitteln, denn wenn mir dies gelang, davon war ich überzeugt, würde Albina mit ihrem Versuch, mich wütend zu machen, scheitern.
„Du hast gefragt, ob ich dir zuhöre“, wiederholte ich betont ruhig, da die Zeit für mich arbeitete. In genau drei Minuten musste sie das Haus verlassen, und Albina war keine, die zu spät zum Dienst erscheint. 
Ich begann von vorn.
Eins. Zwei. Drei. Vier. Fü ...
„Du willst mich nicht verstehen, oder?“, Albina ließ nicht locker. „Ich vermittele dir gerade, dass ich ein Problem habe!“
Siebzehn. Achtzehn.
„Ich weiß, es reicht dir, jeden Tag mit dem Fahrrad und deiner ...“, sie wedelte mit der Zigarette durch die Luft, „ach so praktischen Multifunktionsjacke in den Hort zu fahren, um dort sechs Stunden ...“
Nur fünf Stunden, korrigierte ich innerlich.
„... den Gute Laune-Onkel mit dem feschen Zopf zu geben.“
„Lass bitte meine Frisur aus dem Spiel“, ermahnte ich sie, den Blick weiter auf das Fensterbrett gerichtet.
Fünfunddreißig. Sechsunddreißig.
„Und in den Ferien“, fuhr sie ohne Umschweife fort, „fahren wir zum Zelten nach Mecklenburg.“
Vorpommern, verbesserte ich stumm. Dreiundvierzig.
„Das ist ja auch okay. Doch es gibt ein paar andere Dinge, die ich im Leben ...“
Achtundvierzig. Neunund ...
Ich stockte. Etwas war falsch, passte nicht ins Bild. Die Fruchtfliegen bildeten mit ihren hellbraun vertrockneten Chitin-Körperchen ein stimmiges stochastisches Raster. Das war es nicht. 
Was dann?
Ich erschrak – ¬Meinos Brotbüchse! 
Albinas Anweisungen genau befolgend, hatte ich den überdesignten Kunststoff-Behälter mit allerlei exakt auf die Entwicklung unseres Sohnes abgestimmtem ökologisch korrektem Superfood bestückt, um ihn dann, frühmorgendlich benommen, auf der Fensterbank zu vergessen!
Ich ärgerte mich über diesen törichten Fehler, schließlich lieferte er meiner präzisionsverliebten Lebenspartnerin eine perfekte Angriffsfläche. Mein Unmut wich allerdings schnell der tröstlichen Erkenntnis, nun endlich den Grund für Albinas Übellaunigkeit gefunden zu haben.
Sie hatte ihren Monolog beendet, lehnte an der Spüle und sah mich erwartungsvoll an. Ich setzte mein bewährtes, nettestes Lächeln auf. Jetzt hieß es, den reumütig- einsichtigen Partner zu spielen, um in den letzten beiden Minuten des gemeinsamen Morgens wieder Harmonie und Eintracht herzustellen.
„Albina.“ Verschmitzt blinzelte ich in Richtung Brotbüchse. „Ich weiß doch schon lääääängst, was los ist.“ 
Sie zog irritiert an ihrer Zigarette. „Ach ja?“ 
„Wir waren ein bisschen spät dran. Ich bin mit Meino noch mal das Frühlingsgedicht durchgegangen. Und dann hab ich sein Frühstück vergessen.“
Das entsprach sogar fast der Wahrheit. Ich hatte zwar verschlafen, doch über das Gedicht (Wenn der Frühling neu erwacht und bunte Blüten schmachten) hatten wir immerhin kurz gesprochen. 
„Du kennst mich doch“, säuselte ich lächelnd.
Die Pause, die Albina für ihre Antwort brauchte, zog sich länger als erwartet. Sie musste doch eigentlich los?
„Genau. Ich kenne dich.“ Sie stieß den Zigarettenrauch durch die Nase aus. „UND DU HAST NULL AHNUNG, WAS LOS IST!“
Ich zuckte zusammen. Albina hatte diesen Satz geschrien, wie ich sie noch nie hatte schreien hören und dabei ihre Tasche auf den Tisch geknallt. 
„Überhaupt: Nichts weißt du!“
„Ach komm, Albina. Ich ...“
„Oder weißt du etwa, dass ich seit einem halben Jahr `nen anderen kenne?“
Das saß. Voller Wirkungstreffer bei offener Deckung. Ich war geschockt. 
Wozu ein anderer?, überlegte ich verwirrt. Unsere Beziehung ist doch perfekt!
Sicherlich, wir sprangen uns nicht täglich an den Hals – weder, um uns zu würgen, noch, um uns zu liebkosen – doch wir hatten einen Sohn, akzeptierten uns, vertrauten einander, hatten uns gern; insgesamt genug ausreichende Gründe, für immer zusammen zu bleiben. 
Davon war ich überzeugt. 
Bisher jedenfalls.
Ich wusste nicht, was zu tun war. Das Risiko, in einer solch hochbrisanten Situation womöglich das Falsche zu sagen, konnte ich unmöglich eingehen. Also sagte ich sicherheitshalber nichts, außer dem, was alle coolen Typen in vergleichbaren Momenten sagen: „Okay.“

Olaf Schubert

Olaf Schubert

Olaf Schubert wird seit Jahren von Presse und Publikum für seinen außergewöhnlichen Humor gefeiert. Mit eigenen Sendungen wie "Olaf macht Mut" sowie als regelmäßiger Gast bei Talkshows und zahlreichen quotenstarken Formaten (u.a. "Heute SHOW", "Nightwash") ist er regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Der vielfach preisgekrönte Dresdner tourt zudem mit aktuellen Bühnenshows erfolgreich durch ganz Deutschland, Österreich und die Schweiz.