Heute erreichte uns die traurige Nachricht, dass Kenzaburo Oe im Alter von 88 Jahren am 3. März um drei Uhr morgens in Tokyo verstorben ist. Er war ein großer Schriftsteller, für den Romane erzählerische Experimentierstationen waren. Er war ein streitbarer Zeitgenosse, der den Rechten als Nestbeschmutzer galt: Seit den Sechzigern demonstrierte er unermüdlich gegen die Wiederbewaffnung Japans und gegen Atomenergie. Und er richtete sein Leben so ein, dass er für den Sohn Hikari da sein konnte, der, von Geburt an eingeschränkt, allein über Musik kommunizierte. „Nicht zu viel Hoffnung, nicht zu viel Verzweiflung“ war seine Definition von Humanismus und sein Lebensmotto.
Der japanische Literaturnobelpreisträger von 1994 war ein enger Freund von S. Fischer. In die Bücherkiste seiner Mutter auf Shikoku, der südlichen Insel des japanischen Archipels, wo er 1936 geboren wurde, hatte es geheimnisvollerweise eine deutsche Ausgabe von Thomas Manns „Tonio Kröger“ geschafft. Er verstand kein Wort, aber er hatte das Logo sein Leben lang vor Augen. So fühlte er sich ganz zuhause, als er zweimal im Verlag las. Beim letzten Mal hatte er das Buch mit dem japanischen Text vergessen, und so las er stattdessen Kafkas „Eine kaiserliche Botschaft“. Eine ironische Volte, denn für die Botschaften des Kaisers blieb er auch nach der Nobelpreisverleihung taub. Der obligatorischen Briefmarke mit seinem Konterfei konnte er nicht entgehen, doch den Orden des Kaisers nahm er nicht an. Der höchste Souverän für ihn waren die Demokratie und die Gemeinschaft der Leser.
Nach seinem 75. Geburtstag hörte er auf zu reisen. Er edierte die 15-bändige Ausgabe seiner Romane und Erzählungen, hielt noch Reden auf Demonstrationen, doch es wurde still um ihn.
Wir trauern um einen bedeutenden Autor und einen guten Freund.