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Unterwegs mit Kriminalhauptkommissar Oliver von Dobrowolski

Oliver von Dobrowolski ist in einer speziellen Brennpunkt- und Präsenzeinheit der Berliner Polizei im Einsatz. Nicht selten hadert er selbst mit dem polizeilichen Vorgehen – und versucht, dem etwas entgegenzusetzen.

Der Polizist und Autor Alexander von Dobrowolski lehnt im dunkelblauen T-Shirt mit verschränkten Armen an einer Ziegelmauer.
© Marcus Hoehn

Es ist ein Werktag, 4.40 Uhr. Der Wecker klingelt. Nicht. Denn durch meine innere Uhr, die mir über die Jahre mehr Unruhe als Vorteile eingebracht hat, bin ich bereits Minuten früher wach. Somit kann ich wenigstens noch wenige Augenblicke unter der warmen Decke liegen und mit dem Schicksal hadern. Frühe Dienste behagen mir immer weniger, je älter ich werde.

Ich stehe auf und bereite mich für den Dienst vor. Immerhin entfällt die Entscheidung, was ich anziehen soll. Ich habe meine Uniform und die restliche Ausrüstung zuhause. Seit ich denken kann, ermuntert einen die Behördenleitung dazu, die Dienststellen uniformiert mit dem ÖPNV anzufahren. Ich habe nie verstanden, warum nur verschwindend wenige Kolleg:innen das tun. Ich schätze das mit der Uniform verbundene subjektive Sicherheitsgefühl. Auch habe ich in vielen Jahren nur selten unangenehme Erfahrungen gemacht, also dass ich auf dem Weg zum oder vom Dienst eingreifen musste. Eher dominiert eine erleichterte Gleichgültigkeit oder auch eine erfreute Kenntnisnahme der anderen Fahrgäste, wenn sie mich im Bus und dann in der S-Bahn in meiner Uniform betrachten, aus der oben mein verschlafenes Gesicht herausguckt.

Nachdem ich auf meiner Dienststelle direkt neben dem Berliner Hauptbahnhof im Stadtteil Moabit angekommen bin, begrüße ich die Anderen aus meiner Dienstgruppe, die mein heutiges Schicksal teilen. Kurze Dienstbesprechung, je nachdem was es Wichtiges zu wissen gibt – im Allgemeinen oder in Bezug auf unseren Einsatzort an diesem Tag, der mal Kottbusser Tor, mal Alexanderplatz oder auch Warschauer Brücke sein kann. Heute ist es der Görlitzer Park. Wieder einmal. Ich verbinde gemischte Gefühle mit diesem Ort, der mittlerweile deutschlandweit bekannt geworden ist. Als bunter Hort der Freiheit, inklusive freiem Zugang zu Drogen aller Art. Beziehungsweise als gesetzlose No-Go-Area, durch die sich niemand angstfrei durchwagen kann. Je nach Blickwinkel. Ich persönlich sehe in dem Park eine grundsätzlich schöne Grünanlage, in der sich gut seine Freizeit verbringen lässt. Aber ja: Drogenkriminalität, Kleindealer und öfter auch Revierstreitigkeiten – gern mit Holzlatten oder Messern ausgetragen – gibt es häufig. Was mir aber vor allem missfällt, ist der polizeiliche Ansatz. Denn wir als uniformierte Exekutive müssen in diesem Bereich Probleme kompensieren, die gesellschaftlich an ganz anderer Stelle verursacht wurden. Eigentlich sollte sich hier nicht die Polizei mit einem mitunter großen Kräfteeinsatz kümmern – es sollten Streetworker:innen und auch psychologisch geschulte Menschen nach den Geflüchteten, den Obdachlosen und auch den Straffälligen schauen, um das soziale Gefüge zu kitten. Aber so funktioniert es in Deutschland nicht, das habe ich früh gelernt bei der Polizei.

Also versuche ich erneut, das Beste daraus zu machen. Als Teamführer besteige ich mit meinen vier Mitarbeiter:innen unser Fahrzeug. Funktionen und Aufgaben sind klar verteilt. Ich sitze vorne rechts neben dem Kollegen, der fährt. Hinten die weiteren Kolleg:innen, die sich unter anderem um unsere Ausstattung (ballistischer Schutz für Amok-Lagen oder Terrorangriffe) kümmern oder als Funker:in den Kontakt zur großen Leitstelle halten.

Los geht die Fahrt. Durch den Tiergartentunnel unter der Spree hindurch, erst mit Kreuzberg bereits in Sichtweite hat das Tageslicht uns wieder. Am Landwehrkanal und an der alten Hochbahnstrecke der U-Bahn geht es Richtung Osten, bis wir richtig im Kiez eintreffen. Wassertorplatz, Kottbusser Tor. Bunt, laut, dreckig. Das Berlin, das viele Touristen aus aller Welt anziehend und abstoßend zugleich finden. Ich mag die Gegend, weil auch ich gefesselt bin von der knisternden Spannung, die ich dort empfinde. Welten, die aufeinanderstoßen. Häufig nicht ohne Blessuren.

Blinker rechts, wir fahren in die Wiener Straße. Vorbei an der berühmten Feuerwache zum Görlitzer Park. So ambivalent wie meine Gefühle zu diesem Einsatzort sind auch die Feedbacks der Menschen dort in Bezug auf unsere Polizeipräsenz. Einige Menschen, vor allem Anwohner:innen, die dort Familien gegründet haben, freuen sich über die Uniformen und bedanken sich häufig. Andere verachten uns. Sehen in uns ausschließlich rassistische Cops, die auf Menschenjagd gehen und hierbei die Ärmsten, die Schutzlosen in den Fokus nehmen. Ich selbst kann beide Seiten verstehen, denke auch, dass wir irgendwie beides sind. Viele Polizist:innen gehen dort sehr starrsinnig und unreflektiert in den Einsatz. Machen sich oft zu wenig Gedanken über die Menschen, die sie kontrollieren, durchsuchen, manchmal stigmatisieren und demütigen. Platzverweis! Geh weg und komm nicht wieder! Zumindest nicht vor übermorgen. So schnell, so leicht geht das, dem Polizeigesetz sei »Dank«. Aber was hilft es dem betroffenen Menschen? Wird er wirklich fortbleiben? Und wird er nicht an anderer Stelle versuchen, Drogen zu verkaufen? Diese sinnlos erscheinenden Maßnahmen machen mir zu schaffen, denn ich habe nicht das Gefühl, damit der Gesellschaft zu helfen. Dafür bin ich nicht zur Polizei gegangen.

Doch es gibt auch gute Momente. Denn ich kann dafür sorgen, dass Kontrollen menschlich und zugewandt ablaufen. Ich kann den Menschen das Gefühl geben, eben genauso behandelt zu werden: als Mensch. Oft hat man sich danach bei mir bedankt. Auch kritische Passant:innen, die stehen bleiben und die Kontrollen filmen und die Polizei beschimpfen, haben schon erstaunt und wertschätzend zugegeben, dass diese ruhige und respektvolle Kommunikation  für Transparenz sorge und deeskalierend wirke. Auch wenn sie am Ende nicht glücklich damit sind, wenn wir Menschen festnehmen oder wegschicken müssen.
Es sind also die kleinen Dinge, aus denen ich dort meine Motivation generiere.

Wenn es irgendwann auf den Feierabend zugeht, ist jedes Teammitglied froh, wenn wir keine Überstunden machen müssen. Zehneinhalb Stunden sollten auch eigentlich reichen, danach arbeiten wir schon im Reservebereich, wenn wir in der Winterkälte – oder im heißen Hochsommer – mit schwerer Schutzweste durch die Botanik streifen.

Bald sitze ich wieder in der S-Bahn auf dem Weg nach Hause. Reflektiere noch ein wenig das Erlebte, freue oder ärgere mich. Auf jeden Fall schone ich meine Energie, denn es ist Tag eins von neun Tagen am Stück, an denen wir regulär 84 Stunden Dienst mit nur einem Tag Pause abspulen müssen.

Schön ist anders. Aber es hat mich ja niemand gezwungen, diesen Job zu machen.

Meine Freizeit beginnt bereits im Zug: Ich zücke das iPhone und checke Twitter. Was habe ich verpasst? Den nächsten Polizeiskandal? Für einen politischen Aktivisten gibt es nahezu täglich Ansatzpunkte, Ideen und Forderungen zur Verbesserung der Polizei zu veröffentlichen.
Ich bemühe mich nicht daran zu denken, wie schade dies eigentlich ist…

Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine bessere Polizei

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Oliver von Dobrowolski, geboren 1976, ist Polizist aus Leidenschaft, und das seit 23 Jahren in Berlin. Zudem ist er Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und war viele Jahre Bundesvorsitzender der Berufsvereinigung PolizeiGrün. Im April 2021 gründete er die Initiative Better Police. Oliver von Dobrowolski äußert sich regelmäßig in unterschiedlichen Medien ...

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