Sarah Schumann über Virginia Woolf. Ein Abschied.
Am 3. Juli 2019 starb Sarah Schumann im Alter von 85 Jahren. Wir verabschieden uns mit diesen eindrucksvollen Umschlaggestaltungen, die sie für unsere Virginia Woolf Ausgaben angefertigt hat. Unter jedem Kunstwerk ihre Worte.

»Virginia Woolfs Buch über die Notwendigkeit eines eigenen Raums las ich erstmals in den sechziger Jahren (fast versteckt war es damals erschienen im Verlag einer Freundin); etwas später las ich auch die Prosa über die ›Drei Guineen‹ (ich glaube, im Original).
Jetzt, im Jahr 2001, lese ich sie wieder, diese alten Sendschreiben an uns Frauen aus dem ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts. Vieles ist geschrieben worden seitdem über die rauen und die Räume und das Geld, weniges zeugt von so viel Kraft und Klarheit. Ich betrachte die Fotografie eines Zimmers der Virginia Woolf. Die Wände sind in einem sehr schönen Grün gestrichen. Ich denke nach über Mauern, Türen, Fenster, Dächer. Ach, wären sie doch alle von Arata Isozaki entworfen. Auf dem Buchumschlag: Mein Fingerabdruck.«

»Grippe. Fieberlektüre im Bett: Mrs Dalloway ohne Tag-und-Nacht-Grenze vom ersten bis zum letzten Wort. Das Fieber steigt: Es macht dumme naheliegende Bilder. Die überscharfe Kontur der Erfindung der modernen Frau.
Der Krieg. Die Feindin. Im Salon, das Gemälde eines Mädchens mit Muff. Der Liebhaber: die Aversion gegen seine Taschenmesser-Nervositäten. Mrs Dalloways rededagrünes Kleid. Ihr Haar ergraut. Die Farbe der Tochter wird das Rot sein. Der wirkliche Buchumschlag: Rot und Grün – komplementäre Farben. Wort und Krieg.«

»In meinem Blick aus dem französischen Fenster meines weißen Hauses in Heiligendamm auf die Bucht brechen sich die verschiedenen Möglichkeiten, die Figur der Mrs Ramsay zu sehen. Trotz oder wegen dieser perspektivischen Vielfalt bleibt Mrs Ramsay durch alle Figurenspiegelungen hindurch einmalig und eindeutig. Die Übersetzerin sagt: ›In diesem Buch gibt es kein überflüssiges Wort.‹«

»Die Fahrt durch die Jahrhunderte geht weiter in die Gegenwart 1990, in Ostfriesland an weißgestrichenen, mit kleinen Fenstern versehenen Zweifamilienhäusern vorbei im schnellen Auto. Die Grundstücke, auf denen die Häuser stehen, sich von jetzt schon hohen Bäumen eingefasst. Das Nadelgehölz dieser Umfriedung ist rot geworden. Es steigert sich vom roten Klinkerton bis kupferrot. Die Laubbäume stehen im späten Frühling blätterlos. In der Großstadt spielt Jutta Lampe Orlando. Ihr kleiner Finger im fingergroß strahlenden Scheinwerfer teilt mit, dass auf die Genialität Verlass ist.«

»Das Grün, die Farbe Cornwalls
Die Haut der jungen Frauen: pfirsichfarben
Blau, der Schatten auf den Felsen
der Isles of Scilly
Die Welt ein geteilter Kreis.
Blau ist auch die Farbe der Seele
Gelb ist die Farbe Christi auf den Ikonen.
Das Innere der Erde: braun
Wenn die Erde aufbricht, wird das Braun
zur Farbe des Gesichts einer Madonna
auf einer Ikone.«