Hinter den Kulissen

Wälsungenblut und Goethe

»Er liebte zu lesen, trachtete nach dem Wort und dem Geist als nach einem Rüstzeug, auf das ein tiefer Trieb ihn verwies.« Roland Spahr über die Erzählungen »Wälsungenblut« und »Goethe« von Thomas Mann.

Wälsungenblut

Thomas Manns skandalumwobene Erzählung »Wälsungenblut« entstand 1905, im Jahr der Hochzeit mit Katia Pringsheim. Es bedarf keiner großen Phantasie, um in der großbürgerlich-jüdischen Familie der Erzählung ein bösartiges Porträt der Familie Pringsheim  zu sehen, zumal der Schwiegervater Alfred Pringsheim als Wagner-Verehrer bekannt war und die beiden Kinder Katia und Klaus ein Zwillingspaar bildeten. Die Analogien zur Erzählung scheinen auf der Hand zu liegen.

Die überheblichen Zwillinge Sieglind und Siegmund Aarenhold verbringen vor Sieglinds Hochzeit einen letzten gemeinsamen Abend in der Oper. Wagners »Walküre« wird gespielt, und die rauschhafte Liebe der Wälsungen-Zwillinge auf der Bühne verführt Sieglind und Siegmund zum Äußersten. In einem inzestuösen Akt verhöhnen sie den nichtjüdischen Bräutigam Sieglinds.

Bei Thomas Mann war der Familienkrach vorprogrammiert. Die Erzählung, die in der »Neuen Rundschau« erscheinen sollte, musste zurückgezogen werden. Erst 1921 entschloss sich Thomas Mann zur Veröffentlichung. In einem Privatdruck von 530 Exemplaren wurde »Wälsungenblut« einem auserlesenen Publikum vorgelegt. Die Ausgabe war mit Steindrucken von Thomas Theodor Heine versehen, einem berühmten Buchkünstler und Illustrator, der vor allem als Begründer der berüchtigten Satirezeitschrift »Simplicissimus« bekannt war.

Aus Rücksicht auf die Familie seiner Frau hat Thomas Mann den Schluss der Erzählung geändert. Nur in einem persönlichen Exemplar für seinen Freund Ernst Bertram hat er die ursprüngliche Fassung handschriftlich eingetragen.

 

Goethe               

Für Thomas Mann hatte Goethe eine kaum zu überschätzende Anziehungskraft. Er bewunderte seine Dichtungen: »Faust«, »Werther«, »Wahlverwandtschaften«; er schrieb mit »Lotte in Weimar« einen epochalen Goethe-Roman und setzte sich im »Doktor Faustus« neben anderen auch mit Goethes Faust-Dichtung auseinander. Er bewunderte aber auch Goethes Auffassung vom Leben als Kunstwerk, Goethe als Repräsentanten und Dichterfürsten.

Intensiv hat sich Thomas Mann erst ab den 1920er Jahren, also nach seinem Bekenntnis zur Republik, mit Goethe beschäftigt. In dieser zweiten Lebenshälfte sind allerdings über zehn bedeutende und umfangreiche Essays über Goethe entstanden, die in den meisten Fällen als Einleitungen oder Festreden konzipiert waren. Nach vielen Jahrzehnten werden im Band »Thomas Mann: Goethe« diese Essays zum ersten Mal wieder gesammelt veröffentlicht und durch eine ausführliche Einleitung und einen fundierten Kommentar erschlossen und kontextualisiert.

Herausgegeben wird der Band von den beiden Berner Germanisten Yahya Elsaghe und Hanspeter Affolter. Yahya Elsaghe forscht seit vielen Jahren zu Goethe und vor allem zu Thomas Mann und hat in diesem Kontext bedeutende Publikationen vorgelegt. Als Beispiele seien die Bücher »Die imaginäre Nation. Thomas Mann und das Deutsche« (2000) oder »Krankheit und Matriarchat. Thomas Manns Betrogene im Kontext« (2010) genannt. Hanspeter Affolter arbeitet ebenfalls am Berner Lehrstuhl für Germanistik und forscht zu Thomas Mann sowie anderen Autoren der Klassischen Moderne.

  • Wälsungenblut
    Thomas Mann

    Wälsungenblut

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Thomas Mann, 1875–1955, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Ab 1933 lebte er im Exil, zuerst in der Schweiz, dann in den USA. Erst ...

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