Ich habe gerade einen kurzen Text von Sophia Eisenhut gelesen, »Anorexie und Gottesstaatlichkeit«, in dem die Sprache um und mit sich ringt auf der Suche nach einer écriture féminine die es vermag, Körperlichkeit und Sinnlichkeit dem patriarchalen bullshit zu entreißen.
Diesen letzten Text digital, weil er nur so erhältlich ist. Und auch sonst ist das für mich eine Frage der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit: Im Zweifel ziehe ich das Papier vor.
Es sind viele. Darunter viele, die ich hoffe, eines Tages zu Ende gelesen zu haben.
Wenn ich an eine lachende Lektüre denke, fällt mir Juan S. Guses »Miami Punk« ein. Der Roman ist durchzogen von Anspielungen, die sowohl auf das Miami zurückverweisen, dem das Meer abhandengekommen ist, also auf die Welt des Romans, als auch auf die Welt der Leserinnen. Jedes Mal, wenn ich eine entdeckt habe, haben die Synapsen Funken geschlagen und ich habe mir Juan vorgestellt, wie er dieses Netz aus Anspielungen und Verweisen gebaut hat. Dieses Gefühl kommt dem kurzzeitigen Glück des Lachens wohl am nächsten.
Das Weinen als Reaktion auf literarische Texte wird für mich immer verbunden bleiben mit den Erzählungen über den 1000-jährigen Muff, der durch die literaturwissenschaftlichen Hörsäle der Nachkriegszeit wehte, in denen das Weinen als erwartete Standardreaktion auf Goethe und Schiller vorgeführt wurde – anstatt »Giovanni’s Room« von James Baldwin zu lesen und über die Vernichtung, die jeder Erotik eigen ist, zu weinen.
Und auch heute sollten wir noch weinen, sollten wir noch weinen können. Für mich findet es seine Entsprechung in dem mitfühlenden Schmerz, den autofiktionale Texte wie Olivia Wenzels »1000 Serpentinen Angst«, Sarah Mangusos »The Two Kinds of Decay« oder Ocean Vuongs »On Earth We’re Briefly Gorgeous« hervorrufen.
Im Gespräch mit Prä|Position hat Joseph Vogl einmal sein schlechtes Gedächtnis beschrieben: er vergesse Romanenden und könne weder Zitate noch die Namen von Protagonistinnen fehlerfrei erinnern. Joseph Vogl hat einen Weg gefunden, dieses Defizit zu kompensieren. Ich nicht.
»Rave« von Rainald Goetz. Dafür am besten für eine Nacht einen Nachtwächterjob annehmen und das Buch ohne Pause runterlesen.
Ich fühle oft so etwas wie Scham, wenn ich ein Buch gelesen habe, und nicht beschreiben kann, warum ich es für ein besonders gutes Buch halte: wenn ich merke, dass meine Sprache den Qualitäten des Textes nicht angemessen ist. Besonders gute Bücher lassen mich sprachlos zurück, und wenn ich nun von diesen Büchern berichten soll, schäme ich mich für meine Sprachlosigkeit. Denn meine Sprachlosigkeit ist dem Text noch viel weniger angemessen, als meine Worte es je sein könnten (so hoffe ich zumindest). Also beginne ich, meine Sprachlosigkeit zu beschreiben. Die Worte, die ich dann finde, diese Worte besänftigen meine Scham über ihr Ausbleiben.
Ich finde oft die Bücher doof, die alle Welt liebt, weil alle Welt sie liebt. Einige Zeit später, wenn die Welt weitergezogen ist, lese ich sie dann doch. Meistens ärgere ich mich dann, sie nach allen anderen gelesen zu haben, denn dann ist niemand mehr übrig, mit der man über das Buch sprechen oder die man für das Buch begeistern könnte. Zuletzt ist mir das mit Chris Kraus‘ Roman »I Love Dick« passiert. Und ich glaube, gerade passiert es mir mit Eva von Redeckers »Revolution für das Leben«.
Lektüreempfehlungen sind dreiteilig: es gibt erstens die, die empfiehlt, zweitens das, was empfohlen wird, und drittens die, der empfohlen wird. Nun fehlt letztere in dem Moment, aus dem heraus ich die Frage beantworte. Deswegen verspüre ich ein großes Unbehagen gegenüber den meisten Formen verordneter Lektüre: sie erfolgen in Blindheit, mindestens der Lesenden gegenüber. Ich greife also auf eine generische Formel zurück: Eines der besten Bücher des vergangenen Jahres war »Aus der Zuckerfabrik« von Dorothee Elmiger.
All jene, die nie geschrieben wurden. Für alle anderen werde ich Zeit und Möglichkeiten gehabt haben.
»Vor der Zunahme der Zeichen«, der erste Roman von Senthuran Varatharajah. Ein Text, dessen Sprache ich mich bis heute nicht gewachsen sehe, und an dem ich mich immer wieder messe. Ein Text, der mich immer wieder zurückweist und doch nicht aufgibt. Und so hoffen lässt auf den zweiten Roman.