Interviews

»Die Utopie kann jederzeit und überall stattfinden.«

Thomas von Steinaecker erzählt im Gespräch mit seiner Lektorin Petra Gropp von seiner anfänglichen Abneigung und anschließenden Entdeckung des Werks von Arno Schmidt. Jüngst hat er eine Reise nach Bargfeld unternommen, wo er die Lederjacke von Arno Schmidt fotografierte, und für den Bayerischen Rundfunk ein Feature über den Jubilar produziert, das am 16.1. ausgestrahlt wird.

Du hast einmal erzählt, Du habest lange einen weiten Bogen um das Werk von Arno Schmidt gemacht. Wieso?

Es gibt nur wenige andere Autoren, bei denen das Bild, das von ihnen in den Medien kursiert, anfangs fast genauso stark wirkt wie ihr Werk. Arno Schmidt, der Autor, gilt als extrem schwierig. Negativ gewendet: als unnötig kompliziert. Das Bild des Menschen Schmidts, gefördert durch einige Aussagen à la »Ich finde Niemanden, der so häufig recht hätte, wie ich!« und andere Großspurigkeiten, ist erst einmal ziemlich angeberisch, unsympathisch. Das wäre nicht weiter schlimm. Viele Autoren sind nicht gerade die sympathischsten Zeitgenossen gewesen, aber Schmidts Art nährt eben den Verdacht, dass das Komplizierte nur Selbstzweck sei und nimmt dann die Bereitschaft, sich damit intensiver zu beschäftigen. Außerdem wirkt ein Buch, das über 10 Kilo wiegt, in drei Spalten gedruckt ist, kaum einen nennenswerten Plot und dazu mehrere tausend Seiten hat, eben erst einmal abschreckend (›Zettel’s Traum‹), auch wenn die anderen Bücher Schmidts wesentlich »leserfreundlich« gestaltet sind.

Wie kam es dann doch zu einer Annäherung?

Ich wusste, dass da natürlich viel mehr ist, als dieses eben beschriebene Bild, das ich mir auch als Entschuldigung dafür zurecht gelegt hatte, dass ich mich bislang nicht mit Schmidt beschäftigt hatte, obwohl er zum Kanon gehörte und ich eine Schwäche für Experimentelles habe. Deshalb habe ich dem BR ein Feature über Schmidt zum 100. Geburtstag angeboten. Im Falle einer Zusage, wäre ich sozusagen gezwungen gewesen, Schmidt zu lesen und meine Vorurteile zu überdenken. Der BR sagte zu. Gott sei Dank (Kleine Volte gegen den Atheisten Schmidt …)

Gibt es ein Werk von Arno Schmidt, das für Dich besonders heraussticht, besondere Bedeutung hat?

›Das steinerne Herz‹ und der erste Teil der ›Gelehrtenrepublik‹. Aber eigentlich das gesamte Werk bis 1960, also bevor Schmidt versuchte, Freud und Joyce zu übertreffen. Bei Schmidts halluzinogenem Stil ist es fast schon egal, was er beschreibt. ›Das steinerne Herz‹ schildert die 1950er Jahre und einen Ausflug in die DDR so intensiv wie einen Flugtraum. Der erste Teil des utopischen Romans ›Gelehrtenrepublik‹ mit dem Streifzug des Ich-Erzählers durch eine von Mutanten bevölkerte Zone, inkl. eines Stelldicheins mit einer Zentaurin, liest sich wie ein LSD-Trip. So witzig und durchgeknallt wie es sich nicht einmal die viel spätere Popliteratur traute. Bewusstseinserweiternd. Anders kann man das nicht sagen. Ich meine: »Auf Kankerstelzen aus Licht der kleingeschnürte Sonnenleib über der Landschaft.« (Anfang von ›Die Gelehrtenrepublik‹) …?? - !!!! (um es mit Schmidt zu sagen)

Du hast in der letzten Zeit viel zu Arno Schmidt recherchiert, Gespräche geführt für ein Radio-Feature (16.1.2014, 20.03 Uhr, Bayern 2). Hat sich Dein Verhältnis zu seinem Werk und seinem Arbeiten dadurch weiter verändert? Hast Du etwas entdeckt? Was hat Dich vielleicht überrascht?

In erster Linie habe ich den Autor Schmidt für mich entdeckt. Einiges von ihm hat sich vielleicht nicht so gut gehalten, wie man das von einem Großschriftsteller erwarten dürfte, zu dem er oft stilisiert wurde. Aber Bücher wie jene der 1950er sind mit nichts vergleichbar, was ich jemals gelesen habe. Und dazu noch erstaunlich witzig und unterhaltsam.
Der Mensch Schmidt ist mir zwar nicht unbedingt sympathischer geworden, aber ich meine, ihn nun besser zu verstehen. Ein Mensch voller Angst, der eben einfach nicht in Gesellschaft »konnte« und seine Schwächen durch Kraftmeierei zu überspielen versucht hat. Ein Mensch, der sich nachts zum Schreiben mit Alkohol aufputschte und, wenn Besuch anstand, Schlaftabletten nahm und dann benebelt dasaß, um innerlich nicht angegriffen zu werden. Auch das Macho-Geprahle in seinen Büchern sollte man nicht so ernst nehmen. Die Fotonegativ-Sensibilität, die so einen Stil bedingt, spricht für sich und wäre im »normalen« Alltag vor lauter Verletzungen nicht lebbar gewesen.

Du warst auch in Bargfeld. Erscheint das Arbeiten in solcher Abgeschiedenheit, in völliger Konzentration auf das Werk, heute als völlig undenkbar, als Utopie?

Die Schmidts waren ja in Bargfeld damals bis auf das Telefon und den Fernseher völlig abgeschnitten vom Rest der Welt. Und auch wenn meine Reise dorthin ein kleines Abenteuer war, entkommt man ja heute nicht den digitalen Netzen, die einen hier und jetzt mit einem Klick globalisieren. Ich glaube aber, dass die Utopie jederzeit und überall stattfinden kann, wenn man nur mutig genug ist, auch einmal nein zu sagen. Das finde ich die viel lohnender Herausforderung als die Flucht in die Heide.

Thomas von Steinaecker

Thomas von Steinaecker

Thomas von Steinaecker, geboren 1977 in Traunstein, wohnt in Augsburg. Er schreibt vielfach ausgezeichnete Romane, Graphic Novels sowie Hörspiele. Außerdem dreht er Dokumentarfilme u.a. zur Musik des 20. Jahrhunderts und zur Kulturgeschichte Deutschlands, für die er internationale Preise gewonnen hat. Zuletzt erschienen 2016 der Roman »Die Verteidigung des Paradieses«, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, 2021 das Sachbuch »Ende offen« und 2022 die Graphic Novel »Stockhausen: Der Mann, der vom Sirius kam«.