Interviews

Im Gespräch mit Antje Rávik Strubel

Antje Rávik Strubels Romane erzählen von der Liebe und dem Licht, von Grenzen, Übergängen und Abgründen, von Deutschland und Europa heute. Im Gespräch berichtet sie von Angst und Befreiung, formuliert die Fragen, die sie beim Schreiben beschäftigen, und ruft dazu auf, mehr zu spielen.

Die Autorin Antje Rávik Strubel blickt in die Kamera. Sie trägt das kurze Haar in einem Seitenscheitel, unter dem schwarzen Jacket eine weiße Bluse mit stehendem Kragen.
© Philipp von der Heydt
Ihre Bücher fragen auf verschiedenste Weise danach, was geschieht, wenn wir Grenzen überschreiten. Was fasziniert Sie an diesem Übergang?

Mich fasziniert der Moment der Irritation, auch des Schreckens, der entsteht, wenn man an eine Grenze stößt. Grenzen im eigenen Denken oder in unserer Wahrnehmung zu bemerken, sind wir nicht gewohnt. Und wenn wir sie bemerken, dann sind sie meistens unbequem. Handelt es sich um physische Grenzen, also um Grenzzäune und Mauern, dann ist dieses Aufeinandertreffen häufig mit Angst verbunden. Als Kind bin ich im Schatten der innerdeutschen Mauer aufgewachsen, sie machte mir immer Angst. Solche Begegnungen mit realen oder imaginären Grenzen lösen aber auch die Frage danach aus, wie es anders sein könnte, ob es diese Grenze, an die ich da gelangt bin, überhaupt geben muss. Beim Überschreiten einer Grenze verliert man vielleicht zunächst den Boden unter den Füßen, stößt aber in völlig neue Landschaften vor. Etwas kommt in Bewegung, verändert sich. Das können befreiende Erfahrungen sein.

 

Lässt sich heute noch von Liebe erzählen?

Unbedingt. Im Grunde ist jedes Thema in der Literatur bereits verhandelt worden, also muss man sich neue Ansätze, neue Herangehensweisen überlegen. Von der Liebe wurde bisher am häufigsten im romantischen Sinne erzählt. Das ist auffällig. Wenn man sich also überlegt, dass die romantische Liebe strenggenommen nur heterosexuellen Menschen offensteht - so wurde sie jedenfalls einmal definiert, als Modell gegengeschlechtlicher Anziehung -, dann gibt es durchaus jede Menge unerzählter Geschichten. Wurde dieses Modell eigentlich je wirklich hinterfragt? Ich denke, Literatur ist unerschöpflich und ebenso veränderbar wie die Wirklichkeit. Sie hat sogar viel mehr Möglichkeiten als die Wirklichkeit, weil sie so unwichtig ist. Innerhalb der Gesellschaft spielt Literatur eine untergeordnete Rolle. So aber kann sie ein Spielplatz sein, der Ort, wo Wirklichkeit ausprobiert wird. Sie erkundet, was möglich sein könnte. Es sollte, finde ich, viel mehr gespielt werden! 

 

Das Licht spielt in vielen Ihrer Bücher eine zentrale Rolle …

Licht literarisch zu fassen, ist nicht einfach. Das interessiert mich. Ich muss von den Dingen sprechen, auf die es fällt. Außerdem hat Licht mit Wahrnehmung zu tun. Nicht nur Farben nehmen wir jeweils unterschiedlich war. Wirklichkeit besteht für uns vor allem aus dem, was sichtbar ist, was im Licht steht. Wie aber sieht es mit dem aus, was nicht sichtbar ist? Und warum können auch Dinge, die offen zutage liegen, nicht sichtbar sein? Woran liegt das? Warum nehmen wir beispielsweise Körper und Geschlecht nur auf diese eine und nicht auf andere Weisen wahr? Warum fällt es uns so schwer, uns daran zu erinnern, dass unser Blick Wirklichkeit oft erst hervorbringt? Alles das sind Fragen, die mich beim Schreiben beschäftigen.

Antje Rávik Strubels Buch über das Ungeheuerliche der Normalität

Zum Buch

Antje Rávik Strubel veröffentlichte u.a. die Romane »Unter Schnee« (2001), »Fremd Gehen. Ein Nachtstück« (2002), »Tupolew 134« (2004) sowie den Episodenroman »In den Wäldern des menschlichen Herzens« (2016). Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, ihr Roman »Kältere Schichten der Luft« (2007) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ...

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