Interviews

Interview mit Tore Vetter zum Report »Recht gegen rechts«

Der Report »Recht gegen rechts« verfolgt, wie Politik und Justiz der wachsenden Gefahr von rechts entgegentreten. Mehr als 30 prominente Autorinnen und Autoren beschreiben die wichtigsten Fälle aus dem vergangenen Jahr. Im Interview erzählt Tore Vetter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen und einer der Herausgeber des Reports »Recht gegen rechts«, von den Entwicklungen der letzten Jahre und den Herausforderungen, denen sich die Justiz stellen muss.

Tore Vetter, Universität Bremen
© Universität Bremen

Der Report »Recht gegen rechts« erscheint nun zum dritten Mal. Der erste Report wurde 2020 veröffentlicht. Wie hat sich die Lage in Deutschland seitdem verändert?

Vor dem ersten Report stand die Einsicht, dass der Umgang des Recht gegenüber der politischen Rechten bisher zumindest zu nachsichtig war. Das betrifft sowohl die personelle als auch die strukturelle Ebene; wenn die Justiz also beispielsweise rechte Ideologien nicht als ernstzunehmende Gefahr ansieht oder wenn rechte Narrative Einfluss auf den Rechtsdiskurs nehmen. Die politische und gesellschaftliche Entwicklung geht am Recht ja nicht vorbei, im Gegenteil: Rechtliche Entscheidungen spiegeln immer auch die Gesellschaft um sie herum wider. Die Entwicklung in Deutschland hat sich in den letzten drei Jahren sicher noch einmal verschärft. Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen haben die Empfänglichkeit großer Teile der Bevölkerung für Verschwörungsmythen gezeigt. Gleiches gilt für die Themen des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der sich verschärfenden Klimakrise. Rechte Gruppen und Parteien versuchen hier weiterhin, gesellschaftlich breit anschlussfähig zu werden. Der erneute Zuwachs der rechtsextremen AfD in Umfragen und die immer wieder vorkommende punktuelle Kooperation von Parteien und Personen aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft mit der AfD zeigen leider, dass dies Erfolg hat. Die Lage im rechten Spektrum ist also noch einmal bedrohlicher und auch unübersichtlicher geworden. Andererseits erleben wir auch weiter breites gesellschaftliches Engagement gegen den Rechtsruck und auch staatliche Behörden scheinen die Gefahr von rechts mittlerweile ernster zu nehmen.

Welche Möglichkeiten hat die Justiz, der wachsenden Gefahr von rechts entgegenzutreten? Wo werden diese Möglichkeiten nicht ausreichend genutzt?

Da gibt es je nach Rechtsgebiet ganz verschiedene Möglichkeiten. Bei rechtsextremen Straftaten etwa kommt es erst einmal darauf an, den ideologischen Hintergrund überhaupt zu erkennen und auch im Prozess zu thematisieren. Gerade für Opfer von rechten Gewalttaten ist es wichtig, dass die Justiz diese,  für manche Menschen alltägliche, Bedrohung von rechts ernst nimmt. Seit einigen Jahren können Gerichte rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Beweggründe von Täter*innen bei der Strafzumessung berücksichtigen. Die Sensibilisierung der Justiz für rechte Ideologien ist daher besonders wichtig. Dies gilt selbstverständlich auch für andere Rechtsbereiche, etwa wenn es darum geht, die Gefahr rechtsextremer Beamt*innen oder Richter*innen für die Institutionen des Rechtstaats einzuschätzen. Hier gibt es noch erheblichen Nachbesserungsbedarf.

 

Der Report »Recht gegen rechts« dokumentiert erfolgreiche Gegenstrategien, beleuchtet aber auch Situationen, in denen rechte Akteur*innen das Recht nutzen und die Justiz ihnen zur Seite springt. Welche Fälle werden in dem aktuellen Report zum Beispiel behandelt?

Unsere Mitherausgeberin Kati Lang schreibt etwa über eine Entscheidung aus Zwickau. Dort musste die Stadtverwaltung das lang geplante interkulturelle Stadtfest »Zwikkolör« absagen, nachdem das Verwaltungsgericht Chemnitz einer kurz zuvor zeitgleich auf dem Festplatz angemeldeten Demo von Rechtsradikalen den Vorzug gegeben hatte. Die Richter*innen verwiesen auf die Versammlungsfreiheit der Rechten, berücksichtigten die Grundrechte der Fest-Veranstalter*innen – darunter zumindest teilweise ebenfalls die Versammlungsfreiheit – jedoch nur unzureichend. Es ist jedoch bei weitem nicht nur die Justiz, die die Verantwortung für Missstände in diesem Bereich trägt. In vielen Beiträgen des Reports geht es auch um ein Versagen von Politik und Ermittlungsbehörden. So berichtet Pitt von Bebenburg vom »NSU 2.0«-Prozess und den mutmaßlichen Verbindungen zu rechten Netzwerken in Polizeibehörden, die im Prozess unter anderem deshalb nicht aufgeklärt werden konnten, weil Staatsanwaltschaft, Politik und Polizei sich vorschnell auf eine Einzeltäter-Hypothese festlegten und die Verbindungen zur Polizei nicht konsequent ermittelten.

 

Viele der thematisierten Fälle werden öffentlich diskutiert. Andere sind weniger präsent. Wo sehen Sie Leerstellen in der Berichterstattung?

Während prominente Fälle wie die dienstrechtlichen Verfahren gegen die ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und Richter*innen Jens Maier und Birgit Malsack-Winkemann zurecht breite mediale Rezeption erfahren haben, gehen andere unter. Oft betrifft das die scheinbar »kleineren« Fälle der oft leider ganz alltäglichen Gefahr von rechts oder der strukturellen Gewalt durch gesellschaftliche Diskriminierungssysteme. Christina Clemm berichtet etwa von den eklatanten Wahrnehmungslücken der Justiz bei misogyner oder LGBTQIA*-feindlicher Gewalt und der immer noch weit verbreiteten gesellschaftlichen Verharmlosung von Femiziden. Sarah Lincoln schreibt von menschenunwürdigen und schikanösen Umständen in deutschen Sammelunterkünften für Geflüchtete, deren Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung fortwährend ignoriert und verletzt wird. Solch ein zweierlei Maß bei der Grundrechtsgewährung beobachtet unser Mitherausgeber Maximilian Pichl weiterhin auch an den europäischen Außengrenzen. Während die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in der Gesellschaft zurecht hoch ist, werden Geflüchtete insbesondere aus nicht-europäischen Herkunftsländern immer wieder auch als »Wirtschaftsflüchtlinge« oder »Sozialtouristen« diffamiert. Gerade diese Normalisierung von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist gefährlich. Wir dürfen demgegenüber nicht abstumpfen, sondern müssen diese Verhältnisse immer wieder hinterfragen und anprangern.

 

Welche Reaktionen haben Sie auf die beiden vorherigen Ausgaben des Reports »Recht gegen rechts« erhalten?

Glücklicherweise haben wir bisher fast ausschließlich positive Rückmeldungen auf den Report erhalten. Unser Ziel ist es, juristische Sachverhalte so aufzubereiten, dass sie für alle interessierten Leser*innen – ausdrücklich gerade auch Nicht-Jurist*innen – gut verständlich und interessant sind. Das scheint uns zu gelingen, viele Leser*innen berichten uns, dass sie positiv überrascht waren, wie zugänglich die Beiträge trotz des Stichworts »Recht« im Titel sind. Manche berichten uns aber auch, dass die Beiträge sie sehr erschrocken und teils erstmals für das Thema sensibilisiert haben. Beides motiviert uns, diese Arbeit am Report fortzuführen, solange sie nötig ist. Und nötig wird sie zunächst voraussichtlich leider bleiben.

Recht gegen rechts Report 2022

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