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»In einer dunkelblauen Stunde«: Peter Stamm über seinen neuen Roman

Gerade ist mit »In einer dunkelblauen Stunde« der neue Roman von Peter Stamm erschienen. Uns hat er einige Fragen zu dem Buch und seiner Entstehung beantwortet.

Der Autor Peter Stamm steht an einem Fluss
© C-Films AG

Im Zentrum des Romans steht der Schriftsteller Richard Wechsler. Was hat Sie daran gereizt, über einen Schriftsteller zu schreiben?

Zwei Filmemacher wollten einen Film darüber machen, wie ich ein Buch schreibe. Da dachte ich mir, es wäre spannend, diese Situation im Buch zu spiegeln und von zwei Filmemachern zu erzählen, die einen Film über einen Schriftsteller machen. Der Film und das Buch entwickelten sich dann in ganz unterschiedliche Richtungen. Im Zentrum des Buches steht für mich eigentlich die Freundschaft zwischen der Filmemacherin Andrea und der Pfarrerin Judith, der Geliebten des Schriftstellers. Wechsler ist eher der Katalysator, der diese Beziehung erst möglich macht.

Erzählt wird »In einer dunkelblauen Stunde« aus der Perspektive der Dokumentarfilmerin Andrea, die über Richard Wechsler einen Film drehen möchte. Wussten Sie von Anfang an, dass sich die Geschichte des Buches nur durch ihre Perspektive erzählen lässt?

Sie hat mich einfach mehr interessiert als der Schriftsteller. Sie ist sprunghaft und unsentimental und witzig. Ich wollte schon lange mal ein humorvolleres Buch schreiben, ohne mich durch den Humor von meinen Figuren zu distanzieren. Dank Andrea ist mir das, glaube ich, gelungen, weil der Humor im Buch von ihr kommt, nicht von mir. Hätte Richard Wechsler die Geschichte erzählt, wäre es ein ganz anderes Buch geworden.

Neben Andrea ist Wechslers Jugendliebe Judith eine wichtige Figur im Buch. Die Freundschaft zwischen Andrea und ihr entwickelt sich über Jahre. Was verbindet diese Frauen abgesehen von Richard Wechsler miteinander?

Das kann ich nicht auf Anhieb sagen, ich kann nur, wie die Leserinnen und Leser darüber nachdenken. Ihre Freundschaft mit bzw. Liebe zu Wechsler hat bestimmt etwas damit zu tun. Auch sind beide etwas verloren in ihrem Leben, sind frisch getrennt, trauern auf unterschiedliche Weise um Wechsler, Judith, weil sie ihren Geliebten verloren hat, Andrea, weil so viel zwischen ihr und Wechsler offengeblieben ist. Und bestimmt spielt auch einfach Sympathie und vielleicht sogar eine körperliche Anziehung eine Rolle, wie man sie eben empfindet oder nicht empfindet. Sie halten sich ja schon bei ihrer ersten Begegnung ganz selbstverständlich bei den Händen. 

Sehr schnell im Roman wird klar, dass das Filmprojekt wohl scheitern wird. Gibt es für Sie beim Schreiben auch Situationen, in denen die Möglichkeit besteht, dass eine Geschichte unvollendet bleibt?

Zum einen gibt es Texte, die einfach scheitern, meistens, weil sie mich zu langweilen beginnen und ich nicht mehr mit Leidenschaft daran arbeiten kann. Aber es gibt auch das produktive Scheitern. Ich plane meine Texte ja nie im voraus, habe nur vage Ideen, in welche Richtung es gehen könnte. Wenn ich dann plötzlich merke, dass da kein Durchkommen ist, beflügelt das oft den Text. Dann gibt es erst eine Krise und dann zeigt sich im besten Fall eine ganz neue, viel spannendere Richtung. 

Der Roman stellt einem beim Lesen die Frage, wie viel man wirklich über eine andere Person wissen kann. Ist das Schreiben für Sie selbst eine Chance sich einer fiktiven Person so zu nähern, wie es im realen Leben nicht möglich ist?

Einerseits ja, andererseits kann oder sollte man auch über eine fiktive Figur nicht alles wissen. Jeder Mensch braucht ein Geheimnis. Im besten Fall kann man im Schreiben dieses Geheimnis spürbar machen und es bewahren ohne es zu enthüllen. Das wäre vielleicht überhaupt die schönste Aufgabe des Schriftstellers: uns den Reichtum einer Figur spüren zu lassen, ohne sie zu entblößen.

In einer dunkelblauen Stunde

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Peter Stamm, geboren 1963, studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, u.a. in Paris und New York. Er lebt in der Schweiz. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele. Seit seinem Romandebüt »Agnes« 1998 erschienen sechs weitere Romane, ...

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