Interviews

Wandelwunder

Mit ihrem neuen Buch »Sonnenfalter und Mondmotten« legt die Autorin und Malerin Anita Albus jetzt ein großes Buch über Schmetterlinge vor. Im Interview mit ihrem Lektor Sascha Michel spricht Anita Albus über Schönheit und Entschleunigung.

Nach Ihren Erfolgen mit »Von seltenen Vögeln« und »Das botanische Schauspiel« ist jetzt Ihr großes Buch über Schmetterlinge erschienen. Was fasziniert Sie an diesen Tieren und woher kommt eigentlich das Wort »Schmetterling«?

Faszinierend ist das Wandelwunder und die Schönheit dieser Tiere. Ursprünglich wurde der Schmetterling »Schmettling« genannt, das dem tschechischen  »smetana« entlehnte »Schmetten« bedeutet Rahm, Sahne, Schmand. Im Volksglauben waren Schmetterlinge verwandelte Hexen, die Butter stehlen oder Rahm, die Blüte der Milch. »Schmetterling« entspricht also dem englischen »butterfly«.

Im Titel Ihres Buches taucht das Wort »Schmetterling« ja gar nicht auf. Es heißt »Sonnenfalter und Mondmotten«. Wieso dieser Titel? Ich frage deshalb, weil wir im Alltag die »Motten« ja nicht zu den Schmetterlingen zählen und in der Regel auch eher nicht so schön finden.

Früher wurden auch im Deutschen die Nachtfalter Motten genannt, wie im Englischen noch heute. Leider wurde dann der Begriff auf eben jene Motten eingeschränkt, die uns im Kleider- wie im Küchenschrank ein Ärgernis sind. Ich hoffe jedoch auf das intuitive Verständnis der Leser, dass mit »Sonnenfalter und Mondmotten« die Tag- und Nachtfalter gemeint sind.

Der Band enthält neben zahlreichen prächtigen Abbildungen aus naturkundlichen Büchern des 17. und 18. Jahrhunderts auch dreizehn Bilder, die Sie selbst gemalt haben. Worin genau lag für Sie die Herausforderung beim Malen der Schmetterlinge? Den Falter auf dem Cover zum Beispiel, Chrysiridia rhipheus, bezeichnen Sie an einer Stelle im Buch als »Nonplusultra der Prachtentfaltung«. Wie genau haben Sie diese Pracht mit den Mitteln Ihrer Kunst zu entfalten versucht?

Es standen mir Pigmente zur Verfügung, die erst vor kurzem entwickelt worden sind. Sie bestehen aus beschichteten Glimmerplättchen, die ähnlich wirken wie die Schuppen der Falter, deren Irisieren sich keinem Pigment, sondern dem Spiel des Lichts verdankt. Allein mit diesen Glimmerpigmenten kann man die Details eines Flügels nicht wiedergeben, dazu sind sie zu teigig in ihrer Konsistenz, man muss sie farbigen Pigmenten beimischen. Sie irisieren nicht so stark wie die Strukturfarben der Falter, aber sie irisieren. Leider lässt sich das im Druck nicht wiedergeben.

Zeichnung grün-orange Schmetterling auf einem Ast
Aus: Sonnenfalter und Mondmotten, S. 127.

Es wird ja zur Zeit nicht nur in der Buchbranche viel über Entschleunigung geredet. Können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen? Geht es in Ihrem Schreiben und Malen auch darum: um Langsamkeit und Entschleunigung?

»Die Entdeckung der Langsamkeit« heißt ein Roman von Sten Nadolny, der 1983 erschien, also vor fast vier Jahrzehnten, so langsam ist die Langsamkeit! Nun ist ein Neologismus an ihre Stelle getreten, die Entschleunigung, ein hässliches Wort für mein Empfinden, weil es das Schleunige nicht lassen kann. Aber wie dem auch sei, da ich zu keiner Zeit eine Schnellmalerin war, gibt es für mich nichts zu entschleunigen.

Das Spektrum Ihres Schmetterlingsbuches ist sehr groß. Neben den Tag- und Nachtfaltern  würdigen Sie auch die Eier, Raupen und Puppen, also all die Erscheinungsformen vor der endgültigen Gestalt. Warum dieser Blick auf alle Erscheinungsformen?

Weil ein Schmetterling in seinem Leben diese Formen annimmt, ohne diese gäbe es ihn nicht.

Gezeichnete Raupen und Falter
Aus: Sonnenfalter und Mondmotten, S. 23.

Sie erzählen in Ihrem Buch auch von den vielfältigen Versuchen, sich ein Bild oder eine Theorie von dem zu machen, was in der Black Box der Puppe bei der Verwandlung passiert. Wie würde man die Metamorphose heute, aus naturwissenschaftlicher Sicht, beschreiben?

Man hat einiges über die große Umwandlung, die sich in der Puppe vollzieht, herausgefunden, aber wie die Entstehung des Falters aus der aufgelösten Raupe genau vor sich geht, ist ein Geheimnis und wird es wohl auch bleiben, denn mit jeder neuen Erkenntnis gehen neue Rätsel einher.

Es ist auffällig, dass sich die Erzählstimme Ihres Buches sehr zurücknimmt. Stattdessen lassen Sie sehr oft andere Stimmen sprechen und wechseln dabei sehr frei zwischen mythologischen, literarischen, naturkundlichen und streng naturwissenschaftlichen Diskursen. Mein Eindruck beim Lesen war: All diese Erzähl- und Erklärungsversuche von Plinius über Goethe bis hin zur heutigen Biologie sind wichtig für uns, es gilt sie jeweils zu würdigen, alle haben aber auch ihren Preis und blinden Fleck. Inwiefern entzieht sich für Sie das Eigentliche, die Schönheit der Schmetterlinge, der sprachlichen Vergegenwärtigung?  

Eine große Dichterin wie Emily Dickinson zum Beispiel vermochte durchaus den Zauber der Schmetterlinge in Worte zu kleiden:

A power of Butterfly must be –
The Aptitude to fly
Meadows of Majesty concedes
And easy Sweeps of Sky –

So I must baffle at the Hint
And cipher at the Sign
And make much blunder, if at last
I take the clue divine  –

Zeichnug schwarz-grüner Schmetterling
 Aus: Sonnenfalter und Mondmotten, S. 207.

Es geht Ihnen um das Wunder der Schönheit, zugleich aber ist Ihr Buch angenehm unsentimental. Wie würden Sie Ihre Haltung zur Natur beschreiben? Welche Vorbilder haben Sie? Und was könnte man daraus vielleicht auch politisch ableiten, wenn es um Themen wie Klimawandel und Artenschutz geht?

Ich nehme die Natur mit andächtigem Staunen wahr, kein Mensch kann sich mit ihrer schöpferischen Macht messen. Was daraus im Hinblick auf Klimawandel und Artenschutz folgt, liegt auf der Hand.

Wenn Sie unter all den Schmetterlingen Ihren Liebslingsschmetterling aussuchen müssten – welcher wäre das?

Mein Lieblingsschmetterling ist jeweils der, den ich gerade male und beschreibe. Im Nachhinein lässt sich keiner zum Liebling erklären, ohne die übrigen zu beleidigen.

Zeichnung braun-grün-blauer Schmetterling
Aus: Sonnenfalter und Mondmotten, S. 209.
Anita Albus

Anita Albus

Anita Albus lebt als Malerin und Schriftstellerin in München. Berühmt wurde sie vor allem durch ihre augentäuschenden Naturdarstellungen, die vielfach ausgestellt wurden. Zugleich mit der Malerei hat sich Anita Albus der Literatur gewidmet, einen Roman und Erzählungen geschrieben und mehrfach ausgezeichnete Essays verfasst. Zuletzt erschienen bei S. Fischer die Bücher »Von seltenen Vögeln« (2005), »Das botanische Schauspiel« (2007), »Das Los der Lust« (2007), »Im Licht der Finsternis. Über Proust« (2011), »Käuze und Kathedralen. Geschichten, Essays und Marginalien« (2014) sowie »Sonnenfalter und Mondmotten« (2019).


Literaturpreise:

Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst (2014)
Bundesverdienstkreuz für ihre Verdienste als Repräsentantin der deutschen Kultur in Frankreich (2011)
Friedrich-Märker-Preis für Essayistik (2002)
Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay (2004)