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Buch und Freiheit

Anlässlich Monika Schoellers 80. Geburtstags stellten befreundete Autor*innen ein Buch zusammen, das nach einem Vers von Ilse Aichinger mit »Stimme und Herz« betitelt wurde. Es handelt sich dabei um ein Buch des Dankes. Besonders jetzt, nach ihrem Tod, ist dieser Dank zu betonen. Lesen Sie hier den Beitrag von Reiner Kunze.

Monika Schoeller
© Barbara Klemm

Monika zum (unglaublichen) Achtzigsten
1970, wir lebten noch in der DDR, erschien im S. Fischer Verlag das Kinderbuch »Der Löwe Leopold«. Seither ist Monika Schoeller meine Verlegerin.

In den zwölf Aktenbänden, die das Ministerium für Staatssicherheit der DDR über mich angelegt hatte, konnte Monika Schoeller deshalb nicht fehlen. »Durch … IM … wurde bekannt« heißt es in ihnen, »daß der Deutschlandfunk am 1. 9. 1976 gegen 19.30 Uhr eine Sendung über Reiner Kunze ausstrahlte, die folgendes beinhaltete: … Jetzt erscheint im S. Fischer Verlag eine neue Textsammlung von Reiner Kunze ›Die wunderbaren Jahre‹ … Über dieses Buch sprach Gottfried Hoster mit der Leiterin des S. Fischer Verlages, Monika Schoeller … Nach der Veröffentlichung dieser stark politischen und systemkritischen Texte sowie evtl. persönlichen Konsequenzen des Autors befragt, äußerte die Sch.: ›Das [ist] … möglich. Doch Reiner Kunze ist zu sehr realistisch, um das nicht zu sehen. Er hat mir, als ich das Manuskript bekam, einen Brief geschrieben, in dem steht – ich zitiere das jetzt: Nach Erscheinen dieses Buches rechnen wir, meine Frau und ich, mit jeder möglichen Maßnahme, die eine Regierung gegen einen Schriftsteller treffen kann. Wir hoffen, daß uns das Schlimmste erspart bleibt, aber auch darauf bin ich vorbereitet. Seien Sie jedenfalls versichert, daß ich meinen Teil gründlich bedacht habe.‹ Auf die Frage: Heinrich Böll hat dieses Manuskript bereits gelesen und sich dazu geäußert, antwortete die Sch.: ›Er schrieb nach dem Lesen spontan: Ich habe das Manuskript von Reiner Kunze sofort in einem Zug gelesen und finde, daß es, von einigen Äußerungen und Publikationen in der ČSSR und der UdSSR abgesehen, einen einmaligen schrecklichen Einblick in die inneren Verhältnisse in der DDR vermittelt … Vielleicht können doch eben nur Poeten wie Reiner Kunze oder Biermann diese innere Wirklichkeit der DDR ausdrücken.‹«

Nach Bekanntwerden, daß der S. Fischer Verlag im Besitz des Manuskriptes »Die wunderbaren Jahre« war, ließ man mich wissen, im Politbüro der SED habe man »einen Prozeß ins Auge gefaßt«, nach dem in der DDR »niemand mehr auf den Gedanken kommen werde, noch einmal so anzufangen wie … Kunze«. Ich erhielt diese Information nahezu gleichlautend von zwei Seiten, was differierte, war einzig das angepeilte Strafmaß: acht bzw. zwölf Jahre. Zugleich hieß es übereinstimmend, eine »Gruppe um Honecker« sei jedoch gegen den Prozeß, da er dem Ansehen der DDR schaden könnte. Ein an Honecker persönlich gerichteter Antrag auf dauerhafte Ausreise unserer Familie aus der DDR würde sofort genehmigt werden.

Danke, liebe Monika, für die Bücher und die Freiheit!

 

Sämtliche Texte und Fotos der Autor*innen sind, falls nicht anders vermerkt, aus: Stimme und Herz. Monika Schoeller zum 80. Geburtstag. Herausgegeben von Hans Jürgen Balmes, Corinna Fiedler und Jürgen Hosemann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2019.

Dieser Text erscheint auch am 23. Dezember in »Neue Rundschau 2019/4«.

Reiner Kunze wurde 1933 in Oelsnitz im Erzgebirge als Sohn eines Bergarbeiters geboren. Er studierte Philosophie und Journalistik in Leipzig. 1977 Übersiedlung in die Bundesrepublik. Für sein umfassendes lyrisches, essayistisches und erzählendes Werk erhielt er zahlreiche deutsche und internationale Literaturpreise, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Georg-Trakl-Preis und den Friedrich-Hölderlin-Preis. Seine Lyrik ...

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