Liebe Frau Willemsen, liebe Familie Willemsen, liebe Gäste und Freunde!
»Dein Stuhl ist leer.« So sagt man in Afghanistan, wenn man jemanden unendlich vermisst. Rogers Platz soll nun für immer leer bleiben, doch nicht in meinem, nicht in unseren Herzen.
Kennengelernt habe ich Roger vor 27 Jahren bei einem Filmfestival in Duisburg. Was mich an Roger damals sofort begeisterte, war seine große Seele, sein menschenfreundliches Wesen, sein unabhängiger Geist, seine mutige politische Haltung und seine unbändige Empathie für die Unterdrückten.
Uns verband von Anfang an viel Persönliches. Er fragte mich nach Afghanistan und wie ich mich als Exilantin in Deutschland fühlen würde. Er wollte es ganz genau wissen, und er hörte auch ganz genau zu.
Das war damals nach dem Fall der Mauer. Er sprach von seinem früh verstorbenen Vater, den er sehr schätzte und liebte. Auch ich hatte gerade meinen Vater verloren. Roger wurde zu einem echten Freund. Zu einem Freund, wie man ihn selten im Leben findet.
Anfang 2015 freuten wir uns gemeinsam darauf, beide sechzig Jahre alt zu werden. Kurz nach seinem Geburtstag sollte die Buchpremiere von Der leidenschaftliche Zeitgenosse von Insa Wilke als Herausgeberin sein, ein Buch über sein Schaffen.
Die Einladungen vom S. Fischer Verlag, der ihm so viel bedeutete, waren schon fertig. Es war ihm so wichtig, er hat sich so darauf gefreut. Doch es kam nicht mehr dazu.
Als persönliche Widmung schrieb er mir einmal in ein Buch: »Auf viele Jahre«. Ich wünschte mir, es wäre so gekommen.
Zweimal hatte ich die Freude, mit Roger nach Afghanistan zu reisen. Wie ein Kind hatte er sich gefreut, war leidenschaftlich und mutig. Und das, obwohl das Reisen in Afghanistan alles andere als bequem ist. Sein Vertrauen in mich war dabei grenzenlos. Das hat mich sehr geehrt und berührt.
Es war ein Geschenk zu erleben, mit wie viel Respekt, Liebe und Freude er dem Land und seinen Menschen begegnet ist: im Gespräch, in seinem Handeln und in seinen Gesten.
Er scheute weder Strapazen noch Gefahren, fuhr in die entlegensten Dörfer und Provinzen, war den Menschen nahe. Ohne Begleitung des Militärs nahm er ein einfaches Taxi für die holprigen und staubigen Wege.
Sogar auf Pisten voller Schlaglöcher und Kurven, bei Taschenlampenlicht in der Dunkelheit, immerzu flossen seine Notizen in sein kleines schwarzes Notizheft. Gleichzeitig hat er unsere Reisegruppe mit seiner Wärme, seinen kluge Gedanken, seiner Herzlichkeit und seinem Humor bereichert.
So saß er in der Hocke mit den Weißbärtigen und unterhielt sich. Er spielte Fußball oder bespritze die Kinder mit Wasser, wodurch diese herzlich lachen mussten. Wo immer er auftauchte, erfüllte Wärme und ein Lächeln den Raum.
Kaum zurück in Deutschland, den Reisestaub seines Mantels noch nicht abgeschüttelt, setzte er sich mit Feder und Sprache für eine gerechtere Welt ein. Er protestierte gegen den Krieg in Afghanistan nach dem 11. September, was sich damals kaum einer traute. Seine politische und humanitäre Haltung waren ein Vorbild. Ihn kümmerte weder Ruhm, Geld noch Prestige. Wichtiger war ihm die Wahrheit. Nach so mancher Talkshow löste er ein gedankliches Erdbeben in den Köpfen aus, Menschen wurden wachgerüttelt. Er gab dabei unserem Volk die Würde zurück.
Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan vor zehn Jahren baten wir, der Afghanische Frauenverein, ihn, unsere Schirmherrschaft zu übernehmen. Ohne Zögern sagte er zu.
Ein größeres Geschenk hätte er uns nicht machen können. Für einen so kleinen Verein wie den unseren, bedeutete dies die größte Ehre. Seitdem beschirmte er uns mit seiner ganzen Kraft, war wie ein Lichtschein, der manch dunkle Schlagzeile aus Afghanistan aufhellte. Ein Lichtschein für die Menschen in Afghanistan und die Afghaninnen und Afghanen in Deutschland.
Roger hat stets seine Versprechen gehalten. Sei es, wenn es um den Bau von Krankenhäusern ging, durch die so viele Leben gerettet werden konnten. Sei es durch den Bau von über hundert Brunnen, die er uns geschenkt hat in abgelegenen Dörfern in der Provinz Kunduz, oder sei es, dass er den Weg tausender Mädchen zur Bildung ermöglichte.
Roger hat seine kostbare Zeit und einen Großteil seines Vermögens als auch seine Auszeichnungen so selbstverständlich und bescheiden dazu verwendet, um Afghanistan zu helfen, dass kaum jemand davon wusste. Auch seine Freunde, prominenten Kollegen und seinen Verlag hat er mitgerissen in diesem Einsatz.
Durch seine beiden brillanten Bücher, Afghanische Reise und Es war einmal oder nicht, hat er den Menschen aus Afghanistan ermöglicht, ihre eigene Geschichte auszudrücken, an ihrem eigenen Leben mitzuschreiben. Roger schaffte durch sein Zuhören, Beobachten und Vermitteln eine Brücke der Menschenliebe, der Toleranz und des Friedens zwischen Deutschland und Afghanistan.
Für Afghanistan, für die Schülerinnen und Lehrerinnen ist unser Bruder, Roger Willemsen Jan Doktarsheb Ingeier Saheb Ustad saheb, ein Licht gewesen. Bis zuletzt malten und schrieben Lehrerinnen und Schülerinnen auf ihr Papier, um nach Roger zu fragen und ihn zu grüßen. Bis heute stapeln sich diese liebevollen Briefe und Zeichnungen in unserem Büro.
Roger Jan, ich danke, dass wir uns in dieser Welt nicht verpasst haben, und ich dich kennenlernen durfte. Dein Geist wird in uns weiterleben, auch in unserer Arbeit.
Ich wünsche mir für dich, mein lieber Roger, dass du nun bei einem Picknick in deiner sonnendurchfluteten Lieblingssteppe in Kunduz weilst, in einer wunderbareren Welt voller Liebe und Erfüllung. Ich bin mir sicher: Der Himmel schickt dir ein Lächeln.
Du fehlst uns. Und du fehlst mir, mein guter, lieber, aufrichtiger und gütiger Freund.
Extras
Trauerfeier Roger Willemsen: Dein Stuhl ist leer
Roger Willemsen war seit 2006 Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins. Sein mutiges politisches Engagement, »war wie ein Lichtschein, der manch dunkle Schlagzeile aus Afghanistan aufhellte«, so Nadia Nashir, Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins, in ihrer Trauerrede.