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Freiheit beginnt im Kopf

Gemeinsam mit seiner Frau Beatrice hat unser Autor Ahmad Mansour 2017 MIND prevention gegründet. Was sich dahinter verbirgt und welche Beweggründe zur Gründung der Initiative geführt haben, erzählt er uns hier.

Ahmed Mansour
© Privat

Ahmad Mansour (vorne rechts) und Beatrice Mansour (hinten links).

»Wir schaffen das!« – dieses inzwischen schon geflügelte Wort von Kanzlerin Angela Merkel prägt zusammen mit der Migrationswelle von 2015 seit dieser Zeit die politische und auch die öffentliche Debatte um das Thema Integration regelmäßig und dauerhaft. Im Kern geht es dabei immer wieder um die Fragen: »Wie können wir das schaffen?« – »Können wir es schaffen?« Ich bin sicher, dass wir es schaffen können, wenn wir die Werte, die unser Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft ermöglichen und formen all jenen, die in dieses Land eingewandert sind – gerade eben oder schon vor Jahren – und noch einwandern werden, nachvollziehbar vermitteln können.
Meiner Argumentation liegen meine Erfahrungen zugrunde, die ich in meiner tagtäglichen Arbeit in Schulen, Gefängnissen und Behörden, mit Lehrern, Sozialarbeitern, Polizisten und Jugendlichen sammele. Denn für mich hat die Beschäftigung mit dem Themenkomplex Migration-Integration-Radikalisierung nicht erst mit der sogenannten Flüchtlingskrise begonnen, sondern bereits mehrere Jahre zuvor. Seit ich 2004 aus Israel nach Deutschland gekommen bin, engagiere ich mich in verschiedenen Projekten, unter anderem zur Bekämpfung von Gewalt im Namen der Ehre, zu Antisemitismus und zu den Ursachen und Funktionsweisen von (islamistischen) Radikalisierungsprozessen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei meine Forderung nach flächendeckenden Konzepten zur Präventionsarbeit, womit ich im vergangenen Jahr auch das Interesse des bayerischen Justiz- und Sozialministeriums wecken konnte. In München widmete man sich intensiv der Problematik der Radikalisierung speziell in Gefängnissen und unter Flüchtlingen. 
Radikale finden speziell bei diesen Jugendlichen ideale Bedingungen vor, emotionale Bindung zu schaffen und sie mit der Zeit an die radikale Ideologie zu binden. Dabei geben diese Jugendlichen die Verantwortung oft für ihr gesamtes Leben ab, was sich beispielsweise darin äußert, dass sie klare Vorgaben für die Struktur ihres Alltages erhalten und diesen folgen. Sie bekommen das Gefühl einer Eilte anzugehören und beginnen, die Welt in Schwarz und Weiß zu sehen. Es gibt nur noch »die Guten« auf der einen Seite – die rechtschaffenen Muslime – und »die Bösen« auf der anderen. 
Um schneller zu sein als die Salafisten habe ich gemeinsam mit meiner Frau Beatrice im Oktober 2017 die Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention kurz MIND prevention gegründet. Mit unserer Initiative entwickelten wir in Zusammenarbeit mit dem bayerischen Justiz- und Sozialministerium Projektkonzepte, die präventiv arbeiten, also bevor Jugendliche und junge Erwachsene einen Radikalisierungsprozess beginnen.
In unseren Projekten »ReStart« und »ReThink« schaffen wir in Workshops Räume, in denen Dialoge stattfinden, ohne Verurteilung, ohne Belehrung, ohne Unterrichtsatmosphäre. Dieser Rahmen ermöglicht es den Jugendlichen frei zu sprechen, ihre Meinung zu äußern und eine emotionale Reise mit den Workshop-Leitern zu machen, zu den Themen, die Menschen so anfällig für die radikale Ideologie machen. Solche Themen, wie patriarchalische Strukturen, die Menschen entmündigen, Herkunft und Religion als ein ausschließendes Tabu und einziges identitätsstiftendes Merkmal, Opfer und Feindbilder, eine einfache Rhetorik, Missionierung, Meinungsfreiheit, Antisemitismus und Verschwörungstheorien sind die Hauptaspekte, die bei einer Radikalisierung eine Rolle spielen und zugleich die Hauptthemen, die diese Jugendlichen auch im Alltag beschäftigen.
Das MIND prevention-Team setzt sich zusammen aus Pädagogen, Psychologen und Lehrern, die aus den gleichen Communities kommen, wie die Flüchtlinge und Inhaftierten – also ebenfalls aus Familien mit patriarchalen Strukturen stammen oder einen muslimischen Hintergrund haben. Durch diese ähnlichen Herkunftsverhältnisse erhalten wir einen Vertrauensvorschuss der Teilnehmer, der immens wichtig ist, um solche Tabuthemen anzusprechen, Denkanstöße geben und Alternativen aufzeigen zu können. Für die Teilnehmer ist es meist das erste Mal in ihrem Leben, dass sie Menschen aus ihrer eigenen Community treffen, die anders denken und ihr demokratisches Gedankengut konsequent verfolgen. 
Gut durchdachte Rollenspiele, die die Themen für Diskussionen öffnen, sind dabei das Instrument mit dem wir (MIND prevention) in unseren Projekten arbeiten. Dabei sind diese Rollenspiele keinesfalls geschlossene Geschichten mit einer vorgefertigten moralischen Botschaft, sondern sie spiegeln Situationen aus dem Alltag dieser Menschen wider. Während der Diskussion mit den Teilnehmern ermutigen die Workshop-Leiter diese, alternative Verläufe zu entwickeln. Denn es ist das Ziel, diese Menschen zu ermutigen selber zu denken und selber zu handeln – denn schließlich beginnt Freiheit im Kopf.

Ahmad Mansour, geboren 1976, ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus, zum Beispiel begleitet er Familien von radikalisierten Jugendlichen, Aussteiger und verurteilte Terroristen. Zudem engagiert er sich unermüdlich gegen Antisemitismus. 2015 erschien sein Bestseller »Generation Allah. Warum wir im ...

Zum Autor
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