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Heinrich Manns »Untertan« lesen I

Zu Heinrich Manns 150. Geburtstag am 27. März 2021 ist eine opulent ausgestattete Neuausgabe seines großen Romans »Der Untertan« bei S. Fischer erschienen. Wir sprachen mit der Herausgeberin Ariane Martin, Professorin am Deutschen Institut der Johannes Gutenberg Universität Mainz und Präsidentin der Heinrich-Mann-Gesellschaft.

Ariane Martin, Herausgeberin der Neuausgabe von Heinrich Manns »Der Untertan«
© Thomas Hartmann
Was ist das Neue an der großen Neuausgabe und über welchen Fund haben Sie sich bei Ihren jahrelangen Recherchen am meisten gefreut?

Das Neue an der großen Neuausgabe sind die umfangreichen Materialien zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des »Untertan«, die mit den Faksimiles von Handschriften und weiterem Bildmaterial sinnlich greifbar wird. Ich habe mich bei der Recherche vor allem über Funde gefreut, die überraschend Möglichkeiten der Textgeschichte eröffnen, die sich nicht realisiert haben, wie Heinrich Manns Mitteilung vom 12. Dezember 1912, er verhandle mit dem »Berliner Tageblatt« und denke daran, seinen entstehenden Roman dort zu veröffentlichen. Wäre das realisiert worden, dann hätte vieles anders ausgesehen. Ich habe mich aber auch über Funde gefreut, die Wirklichkeitsbezüge dingfest machen, wie den Theaterzettel der Augsburger Lohengrin-Inszenierung, die Heinrich Mann besucht und daraus »einige hübsche Seiten« im Roman gemacht hat. Und ich habe mich einfach auch über treffende Stichworte schon in den frühesten Notizen zum »Untertan« gefreut, die Diederich Heßling als Figur pointiert charakterisieren, wie die Notiz »Wurstladen« ganz unten auf der zweiten Seite des Notizbuchs A von 1906, die auf dem Faksimile gut zu erkennen ist.

 

Warum sollten wir Ihrer Ansicht nach den »Untertan« rund hundert Jahre nach dem Erstdruck heute immer noch lesen?

Die Wirkungsgeschichte des Romans, die vielen Stimmen zum »Untertan« im Lauf der Jahre und Jahrzehnte, dokumentiert, dass der Text aktuell ist, weil er eine Mentalität plastisch greifbar macht, die immer wieder bis heute zu beobachten ist. Das bestätigt die eigene Lektüre des Romans, der aktuell gelesen werden kann, auch wenn er vor über hundert Jahren geschrieben und also ein historischer Text ist. Dabei macht heute gerade das bei der Lektüre entstehende Spannungsverhältnis zwischen Geschichte und Gegenwart einen besonderen Reiz beim Lesen des »Untertan« aus.

 

Klaus Mann hat bei seiner Wiederlektüre des »Untertan« 1936 nicht nur das Prophetische des Romans bewundert, sondern hatte auch »großen Spaß« beim Lesen des Romans. Was ist Ihre Lieblingsstelle, die Ihnen am meisten Spaß macht?

Ich habe keine eine Lieblingsstelle, sondern beim Lesen eine Lieblingsstelle nach der anderen, weil die Komik, die den Untertanen und sein Milieu entlarvt, auf Schritt und Tritt, Szene für Szene, greifbar ist. Die Lektüreeindrücke von Klaus Mann, der »großen Spaß« bei Lesen des Untertan hatte, sind gut nachvollziehbar. Sie betreffen mehr oder weniger den gesamten Roman, nicht einzelne Stellen. Dabei gestaltet sich die Komik, die so viel Spaß macht, weil sie nicht im platten Sinn moralisierend daherkommt und die Kritik an der Untertanenmentalität dadurch erst ihre Schärfe entwickelt, durchaus unterschiedlich. Es gibt die drastischen Passagen, die in burlesker Komik zum Beispiel die Männlichkeitsrituale bei der »Neuteutonia« entlarven (die wichtigtuerischen Phrasen in ihrer Verbindung mit dem »Saufen«). Es gibt aber auch ironische Passagen wie zum Beispiel in der Gewitterszene gegen Ende des Romans, wo nicht nur durch die neutrale Erzählerstimme die Gewittermetapher als Revolutionsmetapher das Geschehen deutet (Diederich Heßlings phrasengesättigter Rededonner wird durch das Gewitter zum Schweigen gebracht), sondern die Satire durch Ironie auch über die erlebte Rede der Hauptfigur funktioniert (die Figurenperspektive im letzten Satzteil): »An dieser Stelle blitzte es; [...] in der Gegend, wo das Volk zu vermuten war, durchzuckte es grell die schwarze Wolke, und ein Donnerschlag folgte, der entschieden zu weit ging.«

Heinrich Mann, 1871 in Lübeck geboren, begann nach dem Abgang vom Gymnasium eine Buchhhandelslehre, 1891/92 volontierte er im S. Fischer Verlag. Heinrich Mann hat Romane, Erzählungen, Essays und Schauspiele geschrieben. 1933 emigrierte er nach Frankreich, später in die USA. 1949 nahm er die Berufung zum Präsidenten der neu gegründeten Akademie ...

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Die große Neuausgabe von »Der Untertan«

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