Liebe Catherine,
gab es ein Buch, das in dir den Wunsch geweckt hat, Scout zu werden?
Ich wollte seit meinem ersten Tag in der Verlagsbranche Scout werden.
Im Haus meiner Eltern gab es, als ich ein kleines Mädchen war, keine Bücher, doch eines Tages fand ich alte, staubige Bücher im Keller meines Großvaters. Ich begann, sie zu lesen, alle, und dann wollte ich unbedingt über die Gefühle, die sie in mir auslösten, sprechen. Es war Lyrik. Der erste Autor, den ich las, war der französische Lyriker Verlaine. Ich habe alles von Verlaine gelesen. Seitdem habe ich viele andere Bücher aus der ganzen Welt entdeckt, und das starke Verlangen danach, meine Meinung über Bücher zu teilen, ist immer geblieben.
Als ich vor zehn Jahren herausfand, dass Verlage einen nicht nur zum Lesen anstellen konnten, sondern auch dafür, dass du deine Meinung mit ihnen teilst, war ich wie verzaubert. Von diesem Moment an tat ich mein Bestes, um den Erwartungen der Verlage und meinem Kindheitstraum gerecht zu werden. Und wenn jedes Kind in Deutschland die gesammelten Werke von Verlaine liest, werde ich mich zur Ruhe setzen.
Was liest du im Moment?
Im Moment lese ich sieben Bücher, zwei liegen auf der linken Seite meines Bettes, zwei andere liegen auf einem Stapel von sechs anderen Büchern, die ich irgendwann lesen werde (oder nicht), eins liegt unter dem Bett, wo es seit dem letzten Urlaub mit den Staubmäusen ruht, weil ich das nur zu meinem persönlichen Vergnügen lese (›Americanah‹ von Chimamanda Ngozi Adichie), ein anderes befindet sich in meiner Handtasche und die anderen beiden sind digital, auf meinem E-Reader gespeichert. Innerhalb einer Woche werden diese sieben Bücher sicherlich durch sechs oder sieben andere Bücher ausgetauscht werden. Mit all diesen Büchern verbringe ich nur eine sehr kurze Zeitspanne. In gewisser Hinsicht ist das einzige Buch, das ich immer wieder gelesen habe, Marion Billets ›Au Pays des tout-petits‹ – mit meiner zwei Jahre alten Tochter. Das kann ich wirklich empfehlen!
Welches Buch hast du kürzlich nicht bis zum Ende gelesen und warum?
Das letzte Buch, das ich nicht zu Ende gelesen habe, ist eine Erzählung, die von einem Mädchen handelt, das immer im Rollstuhl saß, doch jeden Tag dagegen ankämpft, als Opfer oder als gehandicapt wahrgenommen zu werden. Schon der Titel packt einen: ›Ne dîtes pas à ma mere que je suis handicapée, elle me croit trapéziste dans un cirque‹ (dt. etwa: Sag meiner Mutter nicht, dass ich behindert bin, sie hält mich für eine Trapezkünstlerin im Zirkus), Charlotte de Vilmorin hat es geschrieben und es ist ein sehr humorvolles Buch. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich es gestern Abend nicht zu Ende gelesen habe, weil ich eingeschlafen bin!!! Aber ich möchte mich unbedingt zurück in diese Geschichte stürzen.
Liest du auf Papier oder auf einem E-Reader?
Ja, natürlich lese ich auch auf einem E-Reader, denn sonst würde ich den ganzen Tag bei der Post verbringen und könnte meine Pariser Wohnung nicht mehr betreten.
Was war das letzte Buch, das dich zum Lachen gebracht hat?
Das letzte Buch, das mich zum Lachen brachte, war ›Monsieur‹ von Diego Gary, der erste Roman von Romain Garys Sohn. Der Erzähler, der zur Pariser High Society gehört, verliebt sich in eine junge schwarze Frau aus einem Pariser Vorort. Zwei gegensätzliche Welten treffen aufeinander. Der Erzähler ändert aus Liebe all seine Gewohnheiten und seine Verwandlung, wie auch das Äußern seiner Zweifel sind wirklich lustig und haben mich zum Lachen gebracht.
Welche ist deine Lieblingsromanfigur und warum?
Meine Lieblingsfigur ist meistens die, die mich zum Lachen oder zum Weinen bringt. Das lässt sich schon fast mathematisch errechnen.
Welche Lektüre empfiehlst du für einen Städtetrip nach Paris?
Für einen Trip nach Paris empfehle ich alles von Patrick Modiano (›La Place de l’Étoile‹, dt: ›Place de l’Étoile‹; ›Rue des boutiques obscures‹, dt: ›Die Gasse der dunklen Läden‹; ›Dans le café de la jeunesse perdue‹, dt: ›Im Café der verlorenen Jugend‹; ›Pour que tu ne te perdes pas dans le quartier‹, oder das kleine Buch des spanischen Autors Enrique Vila-Matas ›Paris ne finit jamais‹, dt: ›Paris hat kein Ende‹, das uns mitnimmt auf einen Spaziergang durch Saint-Germain-des-Près im Jahr 1970. Zuletzt möchte ich noch zwei Bücher eines jungen französischen Autors hinzufügen: Jérémie Guez. In seinen Büchern sind wir weit weg vom Postkarten-Paris und weit weg von Saint-Germain-des-Près doch für viele Pariser ist das das wahre Paris. ›Paris, la nuit‹, dt: ›Paris, die Nacht‹; ›Balancé dans les cordes‹.
Welches Buch gelesen zu haben ist dir peinlich?
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es mir jemals peinlich war ein bestimmtes Buch gelesen zu haben. Ich mag ein Buch oder mag es nicht, ich liebe oder hasse es, aber sich zu schämen ist eine andere Sache und das habe ich – glaube ich – noch nie.
Welches Buch nicht gelesen zu haben ist dir peinlich?
Da gibt es wiederum viele und es ist mir zu peinlich, das zu erzählen! Aber falls es jemandem, während er das hier liest, genauso geht, empfehle ich ihm oder ihr ein wundervolles und sehr nützliches Buch: ›Comment parler des livres qu’on n’a pas lus‹ von Pierre Bayard, dt: ›Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat.‹
Welche Bücher haben dich in letzter Zeit begeistert?
›Und meine Seele ließ ich zurück‹ von Jérôme Ferrari
›Anima‹ von Wajdi Mouawad
›Leben ist nicht schwer‹ von Baptiste Beaulieu
›Das Ende von Eddy‹ von Edouard Louis
Das Interview führte und übersetzte Jasmin Düring
Extras
»Ich war wie verzaubert«
Catherine Farin lebt in Paris und beobachtet als Scout für S. Fischer den französischen Buchmarkt. Für hundertvierzehn.de beantwortet sie zehn ganz persönliche Fragen über ihr Lesen, gibt Buchtipps und gewährt uns einen Einblick in ihr Leben als Vielleserin.