1. Das Wort Zufall liegt einem bei Franz Mon buchstäblich auf der Zunge. Denn bei dem Wort- und Sprachspieler, der bereits im legendären Jahr 1959 mit dem Lyrikband ›artikulationen‹ debütierte, ging es immer schon um Momente des Unvorhersehbaren, Überraschenden, die sich der Kontrolle souveräner Autorschaft entziehen. Wobei der paradoxe Witz bei Mon gerade darin besteht, dass sich diese Zufallsmomente überhaupt nur einstellen, wenn alles streng geregelt ist, wenn es also einen klaren Ordnungsrahmen, wenn es Strukturen und Spielregeln gibt, von denen das Zufällige produktiv abweichen kann.
Zufall, das heißt bei Franz Mon, dass sich der Eigensinn des Materials zur Geltung bringen kann, indem etwa die Faserlaufrichtung des Papiers bei den Reißcollagen zu nie ganz steuerbaren Risslinien führt. Zufall, das ist jenes Zusammentreffen von Nähmaschine und Regenschirm auf dem Seziertisch, das sich die sprachexperimentelle, »konkrete« Literatur nach 1945 von den neu entdeckten Avantgardebewegungen des frühen 20. Jahrhunderts abgeschaut hat. Als »wilde Paarung ohne Priester« bezeichnet schon Jean Paul den Zufall in seiner ›Vorschule der Ästhetik‹, und nichts anderes passiert in den Arbeiten Franz Mons, in denen sich immer wieder Wörter begegnen, die sich sonst niemals kennengelernt hätten.
Allerdings hat der bewusste Verzicht auf alles Priesterhafte und die damit verbundene Freiheit beim Lesen nach 1945 eine ganz andere Bedeutung als vor 1933. Mons Ästhetik des Zufalls im Zeichen von Collage und Montage ist jedenfalls keine formalistische Spielerei, sondern verweist immer auch auf den totalitären Herrschafts- und Kontrollwahn, der das 20. Jahrhundert wie kein anderes zuvor geprägt hat. Vor allem aber ist der Zufall für Franz Mon im Leben wie in der Kunst nur vom betroffenen Subjekt her zu denken: »Die Zufallsqualität wird erst von mir, dem in unabsehbare Zusammenhänge versetzten Ich als solche erfasst, festgestellt, ja hervorgebracht, wenn nicht gar deklariert. Ja, ich werde wach erst im Erfahren, Erfassen, Bestimmen von Zufällen, die ich in ihrer Befremdlichkeit, mit ihrem Überraschungsmoment, in ihrer Halbleserlichkeit an mich heranlasse. Zufall ist daher – für mich – kein naturwissenschaftlicher, sondern ein existentialer Begriff.«