In Kyra Wilders Roman »Das brennende Haus« zieht eine junge Mutter mit ihrer Familie nach Genf. Im neuen Zuhause, die Stadt und die Sprache fremd, und mit den beiden kleinen Kindern tagsüber allein, isoliert sich die Frau immer mehr. Zwischen mütterlicher Fürsorge und Überforderung entgleitet ihr irgendwann die Realität – und sie sich selbst. Im Folgenden spricht die gebürtige Amerikanerin, die heute selbst in der Schweiz lebt, über den dringlichen Wunsch über ihre Erfahrungen als Mutter zu sprechen und wie daraus am Ende ein Roman wurde.
Dieses Buch entstand langsam aus den »Überresten«, die sich an den Rändern jener verzweifelten, leeren Stunden ansammeln, die die Tage der Menschen füllen, die sich um Neugeborene kümmern. Ich habe in einem sehr kurzen Zeitraum Kinder bekommen. Drei Babys, die ich nacheinander nach Hause brachte, fütterte, versuchte, sauber und glücklich zu halten. Ein andauernder Kreislauf, in dem ich aufhörte, Müsli oder Salat oder irgendetwas zu essen, was das Sitzen an einem Tisch erforderte. Ich fing an, Walnüsse zu essen, ganze Packungen davon, irgendwann einfach aus meinen Hosentaschen. Zu der Zeit erschien mir das völlig normal.
Natürlich haben die meisten Mütter mit kleinen Kindern sehr ähnliche Geschichten zu erzählen. Wenn vielleicht auch nicht mit Walnüssen, schwelt fast ununterbrochen eine Art Wahnsinn im Hintergrund. Weil Muttersein, wie sich herausstellt, überhaupt nicht »normal« ist. Und Das brennende Haus begann, weil ich darüber sprechen wollte, mich damit beschäftigen musste. Dieser banalen, häuslichen, absolut täglichen Art von Wahnsinn, die entsteht, wenn man Kinder hat.
Auch wollte ich über die durchaus komplizierte Art von Macht sprechen, die Mütter haben. Ich begann über eine Geschichte nachzudenken, die meine eigene Mutter gerne erzählte, als ich klein war. In der Geschichte falle ich hin und schürfe mir schlimm das Knie auf. Sie kommt zu mir gelaufen, hebt mich auf und sagt: Mein Gott! Oh, ich bin so froh, dass du auf den Boden gefallen bist! Einige Kinder fallen in die Höhe! Und in dieser Geschichte weine ich nicht. Stattdessen schauen wir zusammen in den Himmel und sie sagt, fast feierlich, während sie mich fest in ihren Armen hält: Wer weiß, was mit diesen anderen Kindern passiert…
Diese Geschichte ist natürlich als Witz gedacht, und meine Mutter möchte, dass die Menschen lachen, wenn sie sie erzählt. Aber die Geschichte ist auch eine Geschichte, die etwas sehr Wichtiges deutlich macht: Dass sie mich so schnell und gekonnt ablenken konnte, dass ich keinen Schmerz verspürte.
Und ich dachte an diese Geschichte, während ich Walnüsse aß und Babys wickelte. Und fragte mich, inwieweit eine Mutter für die Schmerzen ihrer Kinder verantwortlich ist. Denn in der Geschichte vom blutigen Knie ist sie für alles verantwortlich, nicht wahr? Wenn eine Mutter eine Geschichte erzählen kann, die den Schmerz lindert, ist sie dann nicht verantwortlich, jedes Mal, wenn sie es nicht tut? Ist sie nicht schuldig, jedes Mal, wenn sie faul ist und nur ein Pflaster auf die Wunde klebt und keine Geschichte oder ein Spiel erfindet, das so ablenkend und verlockend ist, dass sich die physische Realität ändert und das Kind in Sicherheit ist und tatsächlich überhaupt nicht verletzt wurde?
Ich dachte viel darüber nach, wäre aber niemals imstande gewesen, darüber zu schreiben, wenn ich nicht in die Schweiz gezogen wäre, wo es oft sehr ruhig ist, und wo ich niemanden kannte und ich oft sehr allein war.
Ich war sehr dankbar, schreiben zu können. Ich empfand es befreiend. Ich empfand Freude dabei. Nun empfinde ich Freude, meine Geschichte zu teilen. Denn ich denke, sie sollte geteilt werden. Denn wenn du meiner Erfahrung nach Walnüsse aus Manteltaschen isst, ist es wahrscheinlich, dass die meisten der anderen Eltern im Park so ziemlich genau dasselbe tun.
Hier sind einige meiner liebsten Bücher über Mütter und Gewalt und Wut und Inneneinrichtung: