Die mythische Tetralogie »Joseph und seine Brüder« ist das umfassendste Romanwerk des großen Dichters und Großschriftstellers Thomas Mann. Der Vierteiler wurde zwischen 1933 und 1943 veröffentlicht, abgeschlossen im kalifornischen Exil, ein Monument und Gipfelwerk des 20. Jahrhunderts, ein jüdisch-griechisch-ägyptisches Familienepos, basierend auf der biblischen Geschichte von Jakobs (Thomas Mann schreibt »Jaakob«) Lieblingssohn Joseph und dessen Lebensweg. Im Rahmen der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe (GKFA) der Werke Thomas Manns liegt dieser gigantische Roman nun erstmals in einer textkritischen Edition vor. Hier kommen fünf Gründe, sofort mit der Lektüre zu beginnen:
1.
Der Kommentar dokumentiert nicht nur Archivmaterial wie Manuskripte und Notizen, sondern erschließt auch kulturhistorische Quellen und die Rezeptionsgeschichte. Man bekommt Einblick in die Arbeitsweise Thomas Manns und in die Hintergrundschichten des Romanwerks.
2.
Die Joseph-Tetralogie ist das meistunterschätzte Werk Thomas Manns. Jedenfalls im deutschsprachigen Raum. Bis heute hat die Originalausgabe nicht annähernd so viel Erfolg gehabt wie die englischsprachige Übersetzung in der angelsächsischen Welt, besonders in den USA, wo die Joseph-Romane seit 80 Jahren zur Weltliteratur gerechnet werden.
3.
Manche Kritiker sahen und sehen im Joseph-Romanzyklus nicht weniger als eine abgekürzte Geschichte der gesamten Menschheit, einen humanistischen Erziehungsroman. Dazu eine der kühnsten literarischen Unternehmungen der Kulturgeschichte.
4.
Auf jeden Fall ragt dieses Werk heraus als ein Schildhalter, den universalistischen Humanismus der Aufklärung gegen den totalitären Zeitgeist verteidigend. Das macht seine Zeitlosigkeit und Aktualität aus. Gerade heute müssen wir wieder die Wichtigkeit universeller Werte gegen Kulturrelativismus und Identitätspolitik verteidigen.
5.
Rund 2.000 Seiten Kommentar? Da kann man nicht nur Respekt, sondern fast Angst kriegen, und ich möchte diese Angst gern zerstreuen: Das Großartige bei Thomas Mann ist, dass man auch einfach nur die Geschichte lesen kann, sich erfreuend an der Souveränität seiner Sprache, an ihrem Humor und ihrem Ernst, jener Thomas-Mann-typischen ironisch-distanzierten Verquickung des Realistischen mit dem Mythischen. Sowas wird heute gar nicht mehr hergestellt.