Im rückwärtigen Raum
Was alles so wächst
in uns und um uns:
Einsicht und Ekel
mit Glück auch die Liebe
noch vor den Tumoren.
Die Enkel wachsen, die
Lichtung im Haar und
hinter den Fußballtoren
der unendliche Raum.
Für Markus – das war 2013*
Liebe Katharina, liebe Familie und Freunde von Markus, werte Gäste –
lieber Markus,
»Hemberg hat Sonne«, dieser kurze Satz war vor Jahren zur stehenden Redewendung zwischen uns geworden. Auch als du nicht mehr in dein geliebtes Toggenburger Häuschen mit Blick auf Hemberg ziehen konntest, sondern zunehmend schattenhalb weiltest, hielten wir daran fest.
Hemberg hatte auch Sonne, als wir bei dir und Käthi weilten und du mich batest, ein paar Worte zu sagen, wenn es dann soweit sei, als Freund und Kollege. – Das habe, weiß Gott, noch Zeit, sagte ich und schob die Antwort, als ließen sich Gott und sein finsterer Diener auf diese Weise hinhalten, immer weiter hinaus, bis du später unter vier Augen nochmals nachfragtest, dringlich, brüderlich, leise.
So leise und finsterlich heiter wie du auch geschrieben hast. Oder wie du auch nicht geschrieben hast, wenn du manchmal lange aufs Schreiben gewartet und um deinen Text – also um Leben und Luft und um Ausdruck vor dieser Welt gerungen hast, die dir ja den Atem schon lange vor deiner eigentlichen Krankheit zuweilen gründlich verschlagen hat.
In diesem Zusammenhang hatte ich uns beide einmal als »Nebelhornisten« im vielstimmigen Literatenorchester bezeichnet, du hattest nichts dagegen einzuwenden, heizten wir unsere Arbeitszimmer doch stets mit einem gehörigen Anteil von Melancholie, Skepsis und Zigarettenrauch – bevor man dir den Blauen Dunst dann gründlich verleidete.
Was uns, lieber Markus, zwischen den meist weit auseinander liegenden leibhaftigen Begegnungen bis zuletzt treulich miteinander verband, waren unsere langen Telefonate, die wie nach einer gemeinsamen inneren Uhr fällig wurden, und die uns jeweils halfen, wenn alles gut ging, die Welt vom Kopf wieder auf die Füsse zurück zu stellen, für eine Weile.
Wenn ich dich in Zukunft wieder lesen werde, so wirst du, da bin ich mir ganz sicher, auch weiterhin schräg hinter mir stehen und mir deinen Text, den ich doch vor Augen habe, leise ins Ohr hinein sagen: Denn ich kann keine Zeile Werner lesen, lieber Markus, ohne deinen Tonfall nicht sogleich im Kopf zu haben. – Ähnlich ergeht es mir nur noch mit zwei, drei anderen ebenso unverwechselbaren Evangelisten. – Du bist uns durch deinen Tod also nicht verloren gegangen. Nein, wir können dich weiterhin zu uns sprechen hören, eindringlich, bedächtig, neckisch – wie es deiner Art und deiner luziden Kunst entsprach und entspricht:
Deine Texte verhandeln stets die eigentliche Topographie des Lebens. Man könnte zuweilen auch von reiner Abschüssigkeit reden, richtete uns deine abgründige Prosa nicht, wie es sich für alle überzeugende Kunst gehört – Kraft ihres Wesens und ihrer Wesentlichkeit – sozusagen hinterrücks wieder auf wundersame Weise auf.
Und wenn ich dann dein Buch schliesse, wird das »Gespräch« mit dir im täglichen nebeL, will sagen Leben, nachklingen, als hätten wir eben noch zusammen ins Horn gestossen oder telefoniert.
(Verbunden hat uns übrigens auch, und diese Gemeinsamkeit hat beide mit zunehmendem Alter besonders amüsiert und erstaunt, unser adoleszenter Glanz als halbwegs erfolgreiche Leichtathleten. Unsere einstigen 100m-Zeiten vergleichend, ließen wir ihn zu vorgerückter Stunde zuweilen wie Taschenspieler durch den Zigarettenrauch hindurch kurz aufblitzen, schmunzelnd.)
Und nebst einstigen gemeinsamen Lesereisen und Briefen, den unabgesprochenen Telefonaten und den zunehmend sorgsamer geplanten tatsächlichen Besuchen waren es dann jene klandestinen Sätze zu Kunstkarten und Fotografien, die wir ab Mitte der Neuzigerjahre, sozusagen zum frohen Trost über gegenseitige Abwesenheiten, miteinander tauschten:
Du reimtest unerkannt lüpfig, an mir blieb die etwas zähere Prosa hängen. Dem gemeinsamen Motiv aber blieben wir über die Jahre hin treu, es galt einzig und allein und in guten Treuen dem anbetungswürdigen »Wesen der Frau«. – Erst spät drehten sich die Verse auch ab und zu und explizit um die eigene »Natur«. – Lass mich daher, nur für dieses eine Mal, lieber Freund, unser Verschwiegenheitssiegel kurz brechen und mit sechs deiner späten, unverwechselbaren Zeilen schließen. – Ein Spiel, sagten wir. Doch es ging, wie bei jedem ernsthaften Spiel, stets um das Leben selbst – und das klang bei dir so:
»Die Lungen futsch und lahm die Lenden.
Das Seelchen trüb und leer der Kopf.
Es ist das Los nicht abzuwenden:
Ich ahn die Asche schon im Topf. –
Aber: Ist sie auch hin, des Lebens Wonne,
so seh ich doch: Hemberg hat Sonne.«
* Im rückwärtigen Raum – ›Unerwarteter Verlauf‹, Haymon 2013.