Hinter den Kulissen

Campus-Gedränge und Enthusiasmus

Zweimal im Jahr kommt der Nachwuchs der Branche zusammen: Auf dem »mediacampus« am Frankfurter Stadtrand verbringen junge Leute aus Buchhandlungen und Verlagen einen Teil ihrer Ausbildung. Impressionen von Max Farr.

I

Die Linie 43 verbindet die letzte U-Bahn-Station vor der Autobahnbrücke mit dem Internat auf dem Berg. Im Berufsverkehr fährt alle zehn Minuten ein Niederflurbus, spät abends leider deutlich seltener. Auch zur Mittagszeit, Anreisezeit, rumpelt nicht allzu oft einer über die etwas zu enge Straße, aber der ist eben totzdem leer, bis zur U-Bahn-Station zumindest. Dann wird es voll, voll mit Koffern, in denen Leben für neun Wochen, für neun Wochen Internat stecken.
Die Autos: auch nicht weniger voll, weniger voll bepackt und auch der Parkplatz: auch nicht weniger voll, weniger voll beparkt. Auspacken ist dabei nicht das Problem, erst einmal muss man aussteigen können, auf Parkplätzen, die in den achtziger Jahren mit einem FIAT Uno ausgemessen wurden und jetzt noch für einen FIAT 500 zu klein sind. Mit einem Kastenwagen französischer Machart, Baujahr 1998 wird das gleich noch schwieriger, man muss direkt länger laufen, wenn man draußen parkt.

II

Privatsphäre schnurrt zusammen auf 80 cm Bett mit Decke und Kopfkissen und einen zu kleinen Kleiderschrank, halböffentliche Sitzmöglichkeiten sind die einzigen Rückzugsräume. Wer am mediacampus alleine sein will, der muss sich Sportklamotten anziehen und hoffen, dass auf den gewählten Wegen kein anderer spazieren geht. An die Schulzeit fühlt man sich erinnert, aber die Erinnerung ist trivial – wir sind auf der Schule, auf den Schulen des deutschen Buchhandels (woher dieser Plural?), auch das erinnert an Klassenfahrten – nur eben neun Wochen. Es gibt alles, was man von Herbergen her auch kennt, Tischkicker, Kaffeemaschine, Kantine, Raucherterrassen, Bier und Wein, und noch sehr viel mehr. Verleger aus großen Häusern, die nach der Veranstaltung drei Stunden lang unbezwungen am Kickertisch stehen, bis die Haut so verschwitzt ist, dass das Hemd sie lieber nicht mehr berühren würde. Preisträger des Deutschen Jugendliteratupreises sind auch da, lesen ganz vergnüglich und machen nachher gleich mehrere Runden Bierpong mit, man braucht ja Stoff für den neuen Roman, und Auszubildende sind fast noch jugendlich, ergo Material. Das zumindest könnte man meinen, wenn man sie trifft. »Ihr seid auch ziemlich im Schulmodus, oder?«, wird man gefragt, wenn man Freunde trifft, die gerade nicht in dasselbe Glück kommen. Ja, antwortet man dann, und findet es gar nicht schlimm, man stimmt der enthaltenen Kritik vorbehaltlos zu und lehnt sie gleichzeitig ab: Wangerooge und Landshut, Stuttgart und Brandenburg, Hamburg, Berlin, Frankfurt, München sind alle da, zweimal neun Wochen, und machen das Beste aus der Situation. Der Situation auf ein Bett und einen Kleiderschrank reduziert zu sein – sich kennenzulernen, und das ziemlich intensiv.

III

Unter der Trauerweide am Hoftor ist angenehmer Halbschatten, den die nutzen, die auch schon zur Zeugnisvergabe um neun Uhr nicht frisch waren. Der Automat in der Kantine hat noch Cola vorrätig, wer keine Zugbindung hat, nimmt eben einen Zug später. Ein letzter Besuch auf der Dachterrasse, die an vielen Sommerstunden eine gute Heimat war, zum Leidwesen der Nachbarn auch zu so manch nächtlicher Stunde. Mit drei Tüten, zwei Umhängetaschen und einem Rollkoffer geht es zum Bus, der fährt samstagvormittags nicht so oft, und wenn, dann ist er ziemlich voll, zwischen Berg und U-Bahn-Station zumindest. Mit Koffern, Auszubildenden und Geschichten, die noch länger als neun Wochen erzählt werden.
 

Von Max-Sebastian Farr – Auszubildender bei den S. Fischer Verlagen