»In a murderous time the heart breaks and breaks and lives by breaking« (Stanley Kunitz, ›The Testing-Tree‹)
Januar 1986, New York: Die Wolkenkratzer ragen hoch hinein in den schmutzigen Anthrazithimmel. Die Stadt versinkt im Müll und in Hoffungslosigkeit. Rattenkönige unter den Küchenspülen, nach Verwesung stinkender Dampf aus den Straßengullis, Obdachsuchende in den 1$-Peep-Shows am Times Square – eine ganze Stadt voller Verzweifelter und Gestrandeter. Die AIDS-Epidemie wütet bereits seit fünf Jahren und hat gesamte Generationen von Künstlern und Avantgardisten ausgelöscht. Über diesem ganzen Moloch schwebt Präsident Reagans breites B-Movie-Grinsen wie ein bedrohliches Konterfei der republikanischen Gegenrevolution. Den Soundtrack liefern die Dead Kennedys: »I am Emperor Ronald Reagan/ Born again with fascist cravings/ Still, you made me president«
Mörderische Zeiten sind es, in denen Tony Kushner sein epochales Dramenepos ›Engel in Amerika‹ spielen lässt. Er verwebt hierin die Einzelschicksale von Mormonen-Ehepaaren, Ex-Dragqueens, rebellischen Propheten, untoten Kommunisten und diabolischen Republikanern zu einer komplexen Handlungsdramaturgie und verweist dabei auf metaphysische wie auch soziopolitische Fragestellungen. Was bleibt uns nach dem Verschwinden Gottes aus unserer westlich-säkularisierten Welt? Woran orientieren wir uns nach der Pervertierung und Zerstörung führender Ideologien und Ismen des ›kurzen zwanzigsten Jahrhunderts‹? Und schließlich – und das im Laufe des Stücks immer drängender – was bedeutet es, um sein eigenes Leben zu kämpfen?
»Na schön, aber ich hasse Amerika, Louis. Ich hasse dieses Land. Es besteht bloß aus großen Ideen und Geschichten und sterbenden Menschen und Menschen wie dir. Der weiße Hornochse, der die Nationalhymne geschrieben hat, wusste genau, was er tat, er setzte das Wort “frei” auf eine Note, die so hoch ist, dass sie keiner erreichen kann. […]Ich lebe in Amerika, Louis, das ist schlimm genug, ich muss es nicht auch noch lieben. Das kannst du machen. Jeder muss schließlich was lieben.« (Belize)