Wien, Spätsommer vergangenen Jahres, Spielzeiteröffnung. ›Die lächerliche Finsternis‹ kommt zur Uraufführung am Burgtheater. Wolfram Lotz' Hörspiel nach Francis Ford Conrads ›Herz der Apokalypse‹ mit einer Anmerkung zur etwaigen Umsetzung des Skripts auf einer Theaterbühne wird in der Regie von Dušan David Pařízek zu einem Bühnenfest, bei dem die grandiosen Schauspielerinnen Stefanie Reinsperger, Dorothee Hartinger, Frida-Lovisa Hamann und Catrin Striebeck in der Pause die Bühne schreddern. Seither restlos ausverkaufte Vorstellungen, bei denen es immer wieder zu ungeheuerlichen Szenen kommt, wenn Zuschauer verkleidet und maskiert ins Akademietheater pilgern. Keine Frage, dass eine solche Inszenierung auf Tour gehen muss. Also reist Lotz nach Lodz, gibt ein Gastspiel beim Heidelberger Stückemarkt, wird eingeladen zum Theatertreffen in Berlin und eröffnet schließlich am 14. Mai die Mülheimer Theatertage, das Forum deutscher Gegenwartsdramatik. Große Emotionen auch hier, fast kommt es zu einem Eklat beim Publikumsgespräch, als ein gekränkter Zuschauer Autor und Schauspielerinnen beleidigt. Der Stimmung tut das kaum Abbruch, die Nacht wird lang, denn das Mülheimer Hotel verfügt zur Überraschung aller über ein sogenanntes Spiegelzimmer, in dem noch lange geredet und geraucht wird, und am nächsten Morgen frühstücken wir mit dem Autor zu Klavierklängen – Mülheim bietet sogar einen Pianisten zum Frühstück auf.
Nochmal zurück nach Wien ans Burgtheater. Es war im Dezember. Robert Borgmann inszeniert die Uraufführung von Ewald Palmetshofers Stück ›die unverheiratete‹. Ewald Palmetshofer hat in seinem Stück einen authentischen Fall aufgegriffen. In den letzten Kriegstagen wird ein junger Mann standrechtlich erschossen, nachdem eine junge Frau seine Fluchtpläne am Telefon belauscht und ihn denunziert hat. Der Text ist ein polymorphes Erinnern, eine Verhandlung, eine Rechtsprechung, und erzählt von der ausweglosen Verstrickung dreier Generationen in einem Netz aus Schuld und Liebe. Und es ist ein reines Frauenstück, Männer spielen hier keine Rolle – weder als Opfer noch als Täter. Und dementsprechend sind sieben phantastische Schauspielerinnen am Werk – vorneweg grandios die wunderbare Elisabeth Orth als »die Alte« und mit voller Wucht erneut Stefanie Reinsperger als »die Junge«.
Auch diese Inszenierung mit ihrem fulminanten Frauenensemble reist mit uns auf die großen Festivals nach Berlin und Mülheim. Diesmal gibt es den Eklat beim Publikumsgespräch des Berliner Theatertreffens – aber ein bisschen Eklat muss eben auch sein.
Gleich zwei unserer jüngeren Autoren mit zwei Ausnahmeinszenierungen beim Theatertreffen und besten Chancen bei den Mülheimer Theatertagen, das passiert auch uns nicht jedes Jahr. Nicht zu vergessen, dass wir neben Lotz und Palmetshofer auch noch mit Christopher Rüpings Stuttgarter Inszenierung von Thomas Vinterbergs ›Das Fest‹ sowie mit Becketts ›Warten auf Godot‹ in der Regie von Ivan Panteleev zu dem illustren Branchentreff in Berlin gebeten waren – es gab also sowieso schon viele Anlässe zu verreisen – nicht nur nach Berlin.
Recklinghausen, Ende Mai, die Ruhrfestspiele laufen auf Hochtouren, überall in der Stadt wird Theater gespielt, der Verkehr staut sich in der Ruhrgebietsgemeinde. Es geht nur langsam vorwärts und wir werden etwas nervös, vor allem als sich rausstellt, dass der Taxifahrer keine Ahnung hat, wo er uns überhaupt hinfahren soll. Und das, nachdem wir nun doch einige Jahre darauf gewartet haben, dass endlich ein Theater dieses Stück für sich entdecken würde: ›obwohl‹ von Beate Faßnacht. Ein Stück von dem die Kritikerin Friederike Felbeck auf nachtkritik.de später schreiben wird, es sei »ein Knüller«, ein Text, der an die kräftig-brutalen Schaustücke einer Marieluise Fleißer, eines Rainer Werner Fassbinder oder Franz Xaver Kroetz erinnere. Die Württembergische Landesbühne und das Theater Rampe haben das zum Glück erkannt, und so sehen wir dann glücklich und gerade noch pünktlich angekommen ein Fest des bösen Witzes über phlegmatische Männer, entfesselte Frauen und verdorbene Geschmäcker. Sprachgewaltig und urkomisch. Entsprechend ausgelassen wird hinterher bei strömenden Regen im Zelt hinter der Halle König Ludwig gefeiert.
Und dann wieder Mülheim, 4. Juni, Fronleichnam. Ein herrlicher Sommertag ist zu Ende gegangen, zum Abschluss der Mülheimer Theatertage wurde ›die unverheiratete‹ gezeigt. In einer düsteren Pizzeria erreicht Ewald Palmetshofer und seine Lektorin Friederike Emmerling die freudige Nachricht: Er hat sich in der Abschlussdiskussion gegen Elfriede Jelinek – und eben auch gegen Wolfram Lotz durchgesetzt und gewinnt den diesjährigen Mülheimer Dramatikerpreis, dotiert mit 15.000 Euro! Jubel in Mülheim, Wien und Frankfurt. Und während wir dieses Ereignis immer noch feiern, schickt sich ›Die lächerliche Finsternis‹ von Wolfram Lotz an, das Stück der Saison zu werden, wird es doch von mittlerweile fast 20 Theatern im In- und Ausland nachgespielt – selbst in der JVA Schwerte.
Später im Juni, auch mal schön, ein Festival zuhause in Frankfurt – diesmal bei subtropischen Temperaturen: Autorenstudio trifft Regiestudio und mit dabei Simon Paul Schneider, erst seit kurzem unser Autor und an diesem Abend mit zwei Stücken vertreten. Sozusagen direkt vor unserer Haustür sehen wir bei diesem kleinen, aber feinen Festival mit ›Exit Lulu‹ und ›Vom Fischer und seiner Frau‹, zwei starke Stücke für grandiose Schauspieler und einen überaus gelungenen Einstand für Simon Paul Schneider als S. Fischer-Autor.
Einen Abend später, wir haben mittlerweile den 20. Juni, sitzen wir im Deutschen Theater in Berlin. Draußen donnert es in den schwülheißen Abend hinein und drinnen beginnen die Autorentheatertage mit einem Paukenschlag. Ferdinand Schmalz' Stück ›dosenfleisch‹ kommt zur Uraufführung. Die Inszenierung des Wiener Burgtheaters, die hier in Berlin erstmals zu sehen ist, ist ein fulminanter Auftakt für die Autorentheatertage, die sich in diesem Jahr neu ausgerichtet haben. Das Publikum jubelt, unser Autor strahlt und wir mit ihm. Denn für Ferdinand Schmalz geht es damit nach seinem Debütstück ›am beispiel der butter‹, mit dem er im letzten Jahr zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen war, ungebremst weiter. ›dosenfleisch‹ ist schon an etlichen Theatern unter Vertrag und die Uraufführung seines dritten Stückes ›Der Herzerlfresser‹ steht im kommenden November in Leipzig an. Das Deutsche Theater in Berlin folgt kurz darauf, nächste Saison wird das Stück dann auch am Burgtheater zu sehen sein. Und ein neues Stück ist auch schon in Arbeit – im Auftrag des Schauspielhauses Zürich.
Ferdinand Schmalz sei sicher einer der originellsten Nachwuchsdramatiker derzeit, bemerkt Peter Laudenbach dann auch in der Süddeutschen Zeitung. Und er stünde zusammen mit Wolfram Lotz und Ewald Palmetshofer für eine Generation junger Autoren, die die Spiele der Dekonstruktion und der Auflösung aller realistischen Erzählweisen von Jelinek bis Heiner Müller bestens kennen. Dem stimmen wir gerne zu, und blicken stolz auf diese neue Generation.
Die Saison geht nun dem Ende zu, wir stellen Listen zusammen mit den Daten der Ur- und Erstaufführungen der kommenden Saison, wir schreiben die Ankündigungen für unsere neuen Stücke, bereiten die nächste Spielzeit vor und ein bisschen reisen wir auch noch herum. Zum Beispiel nach Worms. Denn Ende Juli beginnen hier die diesjährigen Nibelungenfestspiele mit Albert Ostermaiers sprachmächtiger Nibelungenadaption ›Gemetzel‹. Insgesamt 16 Mal wird ›Gemetzel‹ dann in prominenter Besetzung vor dem Wormser Dom zu sehen sein. Wir hoffen auf sommerliche Temperaturen und laue Sommerabende und vor allem auf einen gewaltigen theatralen Schlusspunkt einer an Höhepunkten so reichen Spielzeit.
Von Bettina Walther - S. Fischer Theater & Medien