Joseph hat das Publikum sofort auf seiner Seite. Alles, was er sagt, ist lustig oder scharfsinnig, meistens beides. Ich staune über seine rhetorische Brillanz und werde nie verstehen, wie man so entspannt auf eine Bühne segeln kann.
Der Flieger, der uns nach Zürich bringen soll, ist winzig. Wir fühlen uns beide etwas unwohl – Joseph weil er nicht ganz an die Flugfähigkeit dieses Spielzeugs glaubt, ich weil mein Magen sich beim schunkelnden Start umdreht – also lenken wir uns ab. Ich habe mein Buch am Flughafen liegen lassen und Joseph gibt mir Lorrie Moores ›Bark‹, sein momentanes Lieblingsbuch, das später mein Abschiedsgeschenk sein wird.
Hannes Hug entlockt Joseph auf der Bühne des Züricher Kaufleuten Privates. Joe erzählt von seiner Zeit in Nicaragua, wo er als junger Mann den Kondolenzen entfloh, nachdem seine Mutter gestorben war. Diese Reise hat ihn nachhaltig geprägt und man merkt, dass seine linke politische Einstellung mehr ist als blanke Theorie. Als Joe von seiner Begegnung mit Patti Smith erzählt, habe ich Gänsehaut. Ich kenne die Geschichte, denn sie passiert in etwa so, wie er sie jetzt auf der Bühne erzählt, seinem Protagonisten Robbie. Ich hatte keine Ahnung, dass er sie wirklich einmal getroffen hat, einen Tag vor Weihnachten. Noch als er vor ihrer Tür steht, glaubt er, jemand habe sich einen Spaß mit ihm erlaubt. Doch da steht sie. Patti Smith.
Joe wusste schon mit vierzehn, dass er Schriftsteller werden will; seit er ›Der Fänger im Roggen‹ gelesen hat. Es ist das eine Buch, zu dem er immer wieder zurückkehrt. Hätte er es nicht gelesen, säße er heute Abend nicht hier, sagt er. Man spürt die Rührung im Saal. Vielen der Zuhörer hat das Buch viel bedeutet. Auch mir.
Am nächsten Tag wartet der nächste kleine Flieger auf uns und wir reden uns ein, dass er etwas stabiler aussieht als der gestrige. Joe hat sein rotes Notizbuch auf dem Schoß, das seine Söhne ihm geschenkt haben. Es ist gleichzeitig Kalender und Ort für Ideen. Links die Realität, rechts die Fiktion. »Könnte sein, dass da irgendwo ein Roman drinsteckt«, sagt er.
Unterwegs mit Joseph O’Connor
Ich bin schon bereit zu kapitulieren. Sechs Minuten bleiben bis zur Abfahrt des Zugs, aber Joseph sagt, es würde ihm nichts ausmachen, es zu versuchen. Also rennen wir, die Reisetaschen unter die Arme geklemmt, durch den Frankfurter Flughafen. Er sagt, er sei nicht sportlich, aber mich hängt er locker ab. Auf der Rolltreppe hole ich ihn schnaufend ein. Fünf Minuten nach meiner ersten Begegnung mit Joseph O’Connor sitzen wir nun atemlos nebeneinander, rote Köpfe, rasender Puls, in Schweiß gebadet.
Hätten wir diesen Zug verpasst, wären wir zu spät zur ersten Lesung gekommen. Ihm ist es auch ganz recht, dass er sich vorher im Hotel noch umziehen kann. »Ich sehe aus wie ein Drogendealer«, sagt er und grinst. Schwarze, weite Stoffhose, Hawaiihemd, Sonnenbrille. »Stimmt«, sage ich.
Auf der Fahrt nach Hannover erzählt er mir von dem Zimmer, in dem er schreibt. Ich stelle es mir vor wie ein kleines Gartenhäuschen. Vom Haus aus sieht man es nicht, sagt er. Es ist versteckt zwischen Bäumen und Büschen und sein ganz privater Bereich. Noch nie hat seine Frau diesen Raum betreten. Seine Söhne vielleicht zwei- oder dreimal, um ihm beim Aufräumen zu helfen. Joseph ist ein Familienmensch. Er spricht viel über sie. Seine Frau, seine Söhne, seine Geschwister. Bis auf einen Bruder sind alle Künstler. Schriftsteller, Malerinnen, Musikerinnen. In Irland sei es etwas Ehrenwertes zu schreiben, erklärt er später bei der Lesung im Literaturhaus Hannover. Irische Eltern sind stolz, wenn der Sohn verkündet, er wolle Schriftsteller werden; in anderen Gegenden der Welt ruft man einen Exorzisten.