Nach einem Espresso auf der Hotelterrasse verabschiedet sich Sabine Dörlemann auf ihr Hotelzimmer, und ich nutze die Gelegenheit, um durch Bukarest zu schlendern – nun doch auf der Suche nach Zigaretten. Ich will mich dem rumänischen Lebensgefühl nicht verschließen. Abends holt uns Ioana Gruenwald von Headsome Communication – für Öffentlichkeitsarbeit im Kultursektor zuständig, u.a. für die Frankfurter Buchmesse, das Goethe-Institut und das Kulturministerium – im Hotel ab. Zum Restaurant gehen wir zu Fuß. Ioana nutzt den kleinen Spaziergang als Stadtführung: Wir kommen an der ehemaligen Deutschen Botschaft vorbei, wo Manfred von Killinger sich 1944 auf dem Balkon erschossen haben soll, als Rumänien nach dem Königlichen Staatsstreich die Seiten wechselte und fortan die Alliierten unterstützte.
Im Restaurant warten schon viele Leute auf uns, darunter Alexandru Popescu vom Kulturministerium, Claudiu M. Florian, Presseattaché an der Rumänischen Botschaft in Berlin, und Marilena Brânda von West University Press, die uns während unseres Bukarest-Aufenthalts immer wieder begegnen werden.
Beim Essen sitze ich Claudiu M. Florian gegenüber und staune über eine Lebensgeschichte, wie ich sie nur aus Büchern kenne. Als Soldat erlebte er 1989 den Umsturz seines Landes. Während er als junger Mann im Wald Wache halten sollte, las er im Ausguck lieber die Romane, die seine Mutter geschrieben hat – die Füße in Filzschuhen, um die Kälte abzuhalten. Vielleicht sind es die Filzschuhe, die Art, wie Claudiu M. Florian mit Nebensächlichkeiten Bilder herbeizaubert, die Sabine Dörlemann fragen lassen: »Sind Sie auch Schriftsteller?«
Er lässt sich Zeit mit der Antwort, ja, er habe einen Roman geschrieben, es habe keinen Sinn, das zu verschweigen, am nächsten Tag würden wir es ohnehin erfahren. Jetzt aber sei er dienstlich hier.
Als ich aus dem Flugzeug steige und mein Handy anschalte, blinken schon zwei Anrufe von einer rumänischen Nummer auf meinem Display. Alexandru vom Kulturministerium steht im Stau. Wir treffen uns am Blumenladen.
Es gibt nur einen Blumenladen im Flughafen von Bukarest und direkt daneben einen kleinen Kiosk mit zwei Buchständern. Toll, ich kann sofort anfangen, die rumänische Literaturlandschaft zu sondieren, denke ich und drehe mich durch die Ständer.
Die meisten Bücher sind Übersetzungen aus dem Englischen. Colum McCann, James Patterson, Nicholas Sparks, Jojo Moyes. Nach rumänischen AutorInnen muss man fast suchen. Nur Mircea Cǎrtǎrescu, Nobelpreisanwärter und wohl im In- und Ausland bekanntester rumänischer Gegenwartsautor, ist gleich mit mehreren Büchern vertreten.
Überraschend finde ich die Auswahl. Neben den Thrillern und Liebesromanen, die man an jedem Flughafen sieht, stehen hier auch Kafkas Verwandlung, ein Fermor, ein Coetzee, Anthony Burgess und Patti Smith. Kein Buch gibt es zweimal. Um alle zu sehen, müsste man die Ständer komplett auseinandernehmen.
Alexandru kommt an den Blumenladen, und ich ahne schon, dass mein Name auf dem Schild steht, das er gerade aus seiner Umhängetasche zieht. Wir müssen noch eine halbe Stunde warten, bis Sabine Dörlemanns Flieger aus Zürich landet. Ich könne ja eine Zigarette rauchen, meint Alexandru. Zu dumm, ich habe gerade aufgehört mit dem Zigarettenrauchen. Tatsächlich just heute. Alexandru lacht. Er nicht. Er fischt eine Selbstgedrehte aus seiner Hosentasche und geht vor die Tür. Als er zurückkommt, setzt er sich neben mich und eröffnet mir, was er von dem neuen Gesundheitswahn hält, der sich allerorts breitmacht. Alle hören auf zu rauchen, trinken keinen Wein mehr, laufen ins Fitnessstudio und zum Yoga-Kurs. Ob ich auch Yoga mache? Nein. Fitnessstudio? Kopfschütteln. Normalerweise neige ich dazu, mich ein kleines bisschen schlecht zu fühlen, wenn ich solche Fragen verneine. Alexandru zumindest nickt zufrieden und lächelt wieder. Wieso solle man sich ständig mit der Frage beschäftigen, wie man richtig lebe, wie man besser, gesünder, länger lebe. Warum nicht einfach leben? Eine westliche Mode. Ein Luxusproblem.
»Im Vergleich zu Frankfurt«, sagt Alexandru, »ist in Bukarest alles sehr billig.« Das müsse auch so sein, denn er verdiene nur ein Viertel von dem, was monatlich auf meinem Konto lande. Ein guter Übersetzer verdiene in Rumänien zwei bis drei Euro pro Seite. Besonders die Literaturübersetzer seien sehr schlecht bezahlt. Alexandru übersetzt hauptsächlich aus dem Englischen. Die Seitenpreise, die deutsche Verlage Literaturübersetzern zahlen, seien paradiesisch für ihn. Er geht von 15 Euro aus, tatsächlich bekommen viele mehr.