8.20 Uhr Ankunft in Lissabon, kurz nach sechs ging der Flieger. Nicht meine Uhrzeit. Zur Entschädigung wird »Senhora Puetz« mit Namensschild und einem herzlichen Bem-vindo! empfangen. Ebenso ein Kollege aus München, der zeitgleich gelandet ist. Unser Chauffeur entpuppt sich als extra engagierter Stadtführer für den Vormittag. Seit dem Studium ist Lisboa für mich wie eine zweite Heimat, eine private Tour lasse ich mir dennoch nicht entgehen. Zuerst geht es ins Stadtteil Belém. Denn wo kann man einen Morgen in der portugiesischen Hauptstadt besser beginnen als in der Traditionskonditorei Pastéis de Belém - mit einem frisch gebrühten bica (Espresso) und einem… zwei pastéis de nata, diesen duftenden mit Eiercreme gefüllten Blätterteigtörtchen, die seit 1837 hier nach Geheimrezeptur gebacken werden.
Obrigado e boas leituras!
Unsere Kollegin Teresa Pütz aus dem Internationalen Lektorat war zu Gast auf der Lissabonner Buchmesse, um zwischen Fado, Bacalhau und Pastéis de Nata nach den Nachfolgern von Pessoa und Saramago zu suchen.
Frisch gestärkt geht es weiter durch die Stadt der sieben Hügel (wie Rom), vorbei am Padrão dos Descobrimentos an der Hafeneinfahrt, von wo die damaligen Entdecker in See stachen, durch die engen Gassen des Bairro Alto, der Oberstadt, weiter durch das Altstadtviertel Chiado zur Rua Garrett, wo man die Livraria Bertrand antrifft – die 1732 gegründete und älteste durchgehend betriebene Buchhandlung der Welt. Gegenüber lässt sich ein bronzener Fernando Pessoa vor dem Café A Brasileira von Touristen zu Selfies nötigen. Zielsicher navigiert uns der Fahrer nun die Alfama hinauf, so elegant, wie sich sonst nur die gelben eléctricos durch die steilen Gassen schlängeln, bis zum Miradouro da Nosso Senhora do Monte, einem der vielen Aussichtspunkte. Einen weiteren, beeindruckenden Blick auf die Stadt bekommen wir auf der anderen Seite des Tejos, vom Cristo Rei, dem kleinen Bruder der Jesusstatue in Rio de Janeiro.
Und für einen Augenblick vergesse ich, dass wir nicht (nur) wegen der schönen Aussicht hier sind. Auf Einladung des Camões-Instituts und der portugiesischen Botschaft in Berlin sind wir für drei Tage auf der Lissabonner Buchmesse. Die Feira do Livro findet dieses Jahr bereits zum 88. Mal statt, ist damit um einiges älter als die Frankfurter und auch sonst so ganz anders. Zum einen findet sie in einem Park statt, im Parque Eduardo VII de Inglaterra, direkt im Herzen der Stadt. Über knapp drei Wochen empfangen 626 Verlagsvertreter und 1.120 Autoren in 294 Pavillons über 500.000 Publikumsbesucher im Grünen. Ungefähr genauso viele verkaufte Bücher kommen obenauf. Stolze Zahlen. Es macht Spaß, an den vielen Ständen vorbei zu flanieren und zu schmökern, viele descontos warten, Verlage bieten Rabatte bis zu 50% – allerdings nur für Backlisttitel, denn auch in Portugal gibt es eine Buchpreisbindung.
Die Portugiesen feiern dieses Jahr das 20-jährige Jubiläum der Literaturnobelpreisvergabe an Landsmann José Saramago. Und ich habe die große Ehre, seinen Lektor von der Verlagsgruppe LeYa kennenzulernen, eine der Big Four der Branche. Zeferino Coelho ist mit seinen 73 Jahren ein Vollblut-Verleger – und denkt auch nach 49 Jahren in der Branche nicht an den Ruhestand. Beeindruckend und wahrlich inspirierend. Auch wenn er behauptet, immer noch nicht den Heiligen Gral des Büchermachens gefunden zu haben, bestätigen Bestsellerautoren wie Mia Couto, Gonçalo M. Tavares oder der frisch gebackene Camões-Preisträger Germano Almeida das Gegenteil. Ich freue mich, auch seine Kollegin Maria do Rosário Pedreira, zu treffen, die, wenn sie nicht als Lektorin arbeitet, preisgekrönte Lyrik schreibt und nebenbei auch mal für Salvador Sobral, der ESC-Aficionados ein Begriff ist, einen Song textet. Und überall treffe ich Fernando Pessoa. Das Werk des großen Dichters und Denkers erfreut sich auch über 90 Jahre nach seinem Tod großer Beliebtheit, das können auch wir nur bestätigen, gerade erst ist von Inés Koebel ein neuer Band der Werkausgabe bei S. Fischer erschienen, in dem sie dem portugiesischen Melancholiker und Verwandlungskünstler auf die Spur geht.
Zum Abschluss gibt es noch ein wahres Highlight in unserem Programm. Wir dürfen den Torre do Tombo, das portugiesische Nationalarchiv, besuchen. Seit 1378 werden dort alle wichtigen und staatsrelevanten Urkunden, Akten, Dokumente und Schriftstücke Portugals aufbewahrt. Ehemals in einem Turm der Stadtburg, dem Castelo de São Jorge, der aber beim großen Erdbeben von 1755 zerstört wurde. Nach mehreren Umzügen ist das Archiv nun auf dem Campus der Universität untergebracht. Die umfangreiche Sammlung umfasst über hundert Regalkilometer, beinhaltet Akten der Inquisition und der Zeit der Seefahrten und Entdeckungen. Das älteste Dokument wird auf 882 n.Chr. datiert. Und wir dürfen dabei zusehen, wie Archivmitarbeiter ein stark beschädigtes Dokument aus dem 17. Jahrhundert restaurieren.
Die drei Tage vergehen wie im Fluge. Ich habe viele begeisterte Buchmenschen und junge talentierte Autoren kennengelernt und vielversprechende und frische Stimmen gehört. Stimmen, so divers wie Lissabon selbst, diesem kulturellen melting pot für die ehemaligen portugiesischen Kolonialstaaten ist. Kalaf Epalanga, Isabela Figuereido, Dulce Maria Cardoso, Alfonso Cruz oder João Tordo, um nur einige wenige zu nennen. Globale Themen wie Rassismus, Nationalität und Identität werden verhandelt. Die portugiesische Literaturlandschaft ist vielfältig, findet im Ausland aber größtenteils noch immer wenig Beachtung. Völlig zu Unrecht, wie ich finde. Portugal wird 2020 Gastland auf der Leipziger Buchmesse sein. Ich würde mich freuen, wenn bis dahin viele Autoren das Licht der deutschen Bücherwelt erblicken. Vorerst heißt es für mich: »Obrigada, Lisboa! Boas leituras e até a próxima!«
Teresa Pütz ist Lektorin für Internationale Literatur im S. Fischer Verlag