Was liest du gerade?
Traditionell sind das ein paar Bücher parallel.
Momentan Andreas Maiers ›Das Haus‹. Mayer ist seit ein paar Jahren dabei, mit seiner eigenen Lebensgeschichte die hessische Wetterau in die Weltliteratur einzuschreiben.
Dann Hermann Heimpel ›Die halbe Violine‹. Als Hersteller hat man ja das Privileg, nicht immer das Neuste lesen zu müssen, sondern kann beherzt auch entlegenen Lektüren frönen. Das Buch ist so alt wie ich und hat es in den 1980er Jahren mal in die Bibliothek Suhrkamp geschafft. Ein autobiographischer Roman über eine bürgerliche Kindheit in München vor dem Ersten Weltkrieg, sehr plastisch und klug, sprachlich ausgesprochen originell, der Autor war einst ein bekannter Historiker, das ist sein einziges belletristisches Buch.
Und schließlich den aktuell letzten Journal-Roman von Jürgen Becker ›Jetzt die Gegend damals‹. Ich bin süchtig nach dem Becker-Ton und lese alles von ihm. Da fällt mir auf: Alle drei autobiographische Heimatromane (und alle Suhrkamp!).
Papier oder E-Reader?
Doch lieber Papier, auch wenn ich seit vielen Jahren beruflich mit E-Books zu tun habe. Auf meinem Billig-Kindle dann rechtefreie Klassiker. Journalistisches aber überall, Handy, Laptop, Tablet, was gerade zur Hand ist. Das geht alles friedlich nebeneinander.
Das letzte Buch, das du nicht bis zum Ende gelesen hast?
Von Boris Hillens ›Agfa Leverkusen‹ habe ich nur die hintere Hälfte gelesen. Beim Blättern war ich in der Mitte an der Stelle hängengeblieben, an der das Stammlokal meiner Jugend, das »Scarabée«‹ in Gießen, literarisch gewürdigt wird. Für den vorderen Teil hat’s dann irgendwie nicht mehr gereicht.
Das letzte Buch, das dich zum Lachen gebracht hat?
Ich lache seit Jahrzehnten bei Bedarf über die gleichen drei Bücher:
- ›So schlecht war mir noch nie‹ von Curt Bois, das sind skurrile Szenen aus dem Alltag des Schauspielers in den 1960er Jahren, in denen der Autor wirklich vor keinem Kalauer zurückschreckt (das Buch wird regelmäßig etwa alle 10 Jahre wiederentdeckt).
- ›Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen‹ von Jörg Metes und Tex Rubinowitz (schönstes absurdes Listenwesen)
und
- ›Das Geheime Tagebuch des Adrian Mole, 13 3/4 Jahre alt‹ von Sue Townsend über einen pubertierenden Bücherwurm. Da reicht die Erinnerung an einzelne Szenen, um mich zum Lachen zu bringen.
Und sehr geschmunzelt habe ich über Lydia Davis’ Text ›Kafka kocht ein Abendessen‹ aus der Perspektive Franz Kafkas, der für eine Verabredung mit seiner Verlobten Milena Jesenska plant. Saukomisch, aber eher von der tragischen Art. Neu im Taschenbuch bei uns in dem Band ›Reise über die Stille Seite‹
Das letzte Buch, das dich zum Weinen gebracht hat?
Für Rührung ist vielleicht ja doch eher der Film zuständig. Aber am Schluss von Eduard Louis’ ›Das Ende von Eddy‹ habe ich ein paar Tränchen verdrückt. Ein sehr starkes autobiographisches Buch über das Coming Out eines Jungen vom Lande, brutal, aber mit einem positiven Ende.
Deine liebste Romanfigur?
Vielleicht doch der Werther. Damit fing ja alles an.
Du fährst regelmäßig einmal im Jahr nach Venedig. Was empfiehlst du als Lektüre?
Na, ›Ufer der Verlorenen‹ von Josef Brodsky natürlich, ruhig die Ausgabe mit den schönen Fotos von Peter Hassiepen. Und ›The Companion Guide to Venice‹ von Hugh Honour, das Reisebegleitbuch für Venedig schlechthin.
Manchmal schämt man sich dafür, ein bestimmtes Buch zu mögen – hast du eins?
Schämen vielleicht nicht, aber ich wundere mich selbst über die Begeisterung,, mit der ich die phantastischen Kriegs- und Reiterromane von Alexander Lernet-Holenia verschmökere (Kolportage vom feinsten), die mir lebensweltlich unendlich fremd sind.
Gibt es ein Buch, das alle Welt liebte, nur du fandest es doof?
Ich las kürzlich den vielgeliebten und vielgelobten ›Trafikant‹ von Robert Seethaler. Außerordentlich gut gemachter Kitsch, der mich durch seine politische Scheinheiligkeit aber richtig aufgebracht hat.
Welches Buch sollte deiner Meinung nach jeder gelesen haben?
Das bürgerliche Gesetzbuch.
Aber im Ernst: Lesen geht natürlich nur freiwillig. Lesebefehle sind anmaßend.
Welches Buch hast du nie gelesen und wünschtest, du hättest es?
Musils ›Mann ohne Eigenschaften‹. Die zweibändige schwarze Rowohlt-Ausgabe, die bei vielen Menschen meiner Generation im Regal steht, ist schon ca. 11x umgezogen. Aber vielleicht sollte ich sie doch mal zu Oxfam bringen und mich auf Peter Kurzeck konzentrieren.
Gibt es Bücher, zu denen du immer wieder zurückkehrst?
Am ehesten zu den großen Aufzeichnern, zum Beispiel Lichtenberg, dem ersten Twitterer.