Viele, viele Manuskripte tagsüber und abends zurzeit Ocean Vuongs »Auf Erden sind wir kurz grandios«. Ein gewaltiges und großartiges Buch, verpackt in unzählige schöne wie niederschmetternde Sätze, die in ihrer Gesamtheit ein poetisches, intimes Manifest gegen Krieg, Rassismus, Xenophobie und Gewalt ergeben.
Am liebsten lese ich immer, immer auf Papier. Die meisten Manuskripte und auch einige bereits erschienene Romane lese ich jedoch in PDF-Form am Laptop. Mit dem E-Reader habe ich mich bis jetzt irgendwie noch nicht richtig anfreunden können.
Das letzte, an das ich mich erinnern kann, war »L’empreinte à Crusoé« von Patrick Chamoiseau. Nicht weil ich es nicht mochte, sondern weil die Ausleihe von der Bibliothek zu Ende war und ich nicht mehr verlängern konnte. Ich kann diesen Roman nur empfehlen. Es handelt sich hierbei um eine antikoloniale, poetische Neu- bzw. Überschreibung des Robinson Crusoe von Daniel Defoe.
Wenn auch nicht direkt bei der Lektüre, aber in einer Lesung, in der Ferdinand Schmalz aus seinem Roman »Mein Lieblingstier heißt Winter« gelesen hat. Gerade bei dem schönsten und witzigsten Satz, den ich seit langem gehört habe: »Das Unbewusste ist wie Pistazieneis«.
Der Roman, den ich gerade lese, und auch schon nach wenigen Seiten: Ocean Vuong, »Auf Erden sind wir kurz grandios«.
Das ist schwer zu beantworten. Eigentlich habe ich gar keine liebste Romanfigur. Was dem am nächsten kommt, wäre die Figur Claude Frollo aus »Notre-Dame de Paris« (»Der Glöckner von Notre Dame«) von Victor Hugo. Eigentlich ist er der Antagonist des Romans, der allerdings nicht so durchdringend böse ist, wie in der Disney-Verfilmung dargestellt. Die Ambivalenz ist das zentrale Thema der Figur, das Hin- und Hergerissensein zwischen Vernunft und Gefühl, seinem kirchlichen Gelübde und dem Verlangen, empathischen Handeln und Autoritarismus. Kurz: Frollo stellt die Zerrissenheit des menschlichen Daseins dar und ist (überraschenderweise) in der Originalversion von Hugo eine der »sympathischsten« Figuren, auch wenn das merkwürdig klingt. Ein unglaublich faszinierender Roman, da es hier nicht eine einzige positive Romanfigur gibt. Überzeugen Sie sich selbst und lesen Sie den Roman – allerdings gibt es in dieser Version kein Happy End.
Wenn man Lust hat, sich in das Harlem der 50er Jahre zu begeben, kann ich nur »Another Country« von James Baldwin empfehlen.
Definitiv Christoph Ransmayrs »Die letzte Welt« und als Begleitlektüre die »Metamorphosen« von Ovid und die »Sonette an Orpheus« von Rilke.
Noch eine schwierige Frage… Mir fällt keins ein. Es gibt sehr wahrscheinlich viel mehr Bücher, die ich nicht gelesen habe und mich gerade dafür schäme.
Das schlimmste Buch, das ich je gelesen habe und worüber ich mich immer noch leidenschaftlich gern aufrege, ist definitiv »Anti-Freud« von Michel Onfray… Was für eine Verschwendung von Papier und Tinte! Glücklicherweise liebte dieses Buch keiner so sehr.
Und noch eins: »Der kleine Prinz« von Saint Exupéry hat mich aus verschiedenen Gründen regelrecht ausgelaugt.
So viele… aber auch hier ist meine erste Antwort »Another Country« von James Baldwin (»Ein anderes Land«, erschienen bei dtv im Hardcover 2021(!)). Ein vortrefflicher, bildschöner, kinematographischer, erschreckender und höchst relevanter (race-class-gender) Roman, den ich politischen und literarischen Leser:innen aufs Dringendste empfehlen kann. Liebe, Vertrauen, Betrug, Gewalt, Verlangen, Freundschaft, Scham, Verlust, Zerstörung und unconscious bias – alles ist darin und so wunderbar geschrieben, wie es nur ein James Baldwin konnte!
Oh je, da könnte ich sicherlich eine lange Liste aufstellen, aber das wäre mir zu peinlich.
Darunter wären auch einige Klassiker, muss ich leider zugeben, vor allem Dantes »Göttliche Komödie«.
Wie man an meinen Antworten sieht und ohne zweimal darüber nachdenken zu müssen, kann ich hier auch »Another Country« von James Baldwin angeben ;)
Jana-Maria Lissek ist Volontärin im Lektorat für Literatur des S. Fischer Verlags.