Hinter den Kulissen

Was liest Lucas Walter?

Istanbul und Leipzig, Lena Dunham und Gabriel García Márquez, Schullektüre und Kinderbuchklassiker: Lucas Walter, Auszubildender der S. Fischer Verlage im ersten Lehrjahr, hat unseren Lese-Fragebogen beantwortet.

Lieber Lucas, was liest du gerade?
›Istanbul‹ von Orhan Pamuk. Das Buch wurde mir empfohlen, da ich im Sommer für eine Woche dort bin. Durch das Buch bin ich jetzt noch mehr auf die Stadt gespannt!

Liest du auf Papier oder auf einem E-Reader?
Auf Papier. Für eine kurze Zeit habe ich versucht, auf dem Tolino meiner Schwester zu lesen, habe aber nach kurzer Zeit wieder zum Buch gegriffen. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Gewöhnung, aber irgendwie brauche ich zwei Klappendeckel in der Hand und Papier zwischen den Fingern. Ich liebe es, ein Buch im Regal stehen zu sehen und es, wenn mir danach ist, herausziehen und darin lesen zu können.

Was war das letzte Buch, das du nicht bis zum Ende gelesen hast?
Es ist mir etwas peinlich, das zuzugeben: das letzte Buch, das »unausgelesen« wieder ins Regal wanderte, war ›Hundert Jahre Einsamkeit‹ von Gabriel García Márquez. Beim Lesen habe ich mich oft dabei ertappt, wie meine Gedanken abschweiften und die Sätze keinen Sinn ergaben. Vielleicht haben mir die vielen spanischsprachigen Namen der großen Familie oder der straffe Erzählstil das Wiederhineinkommen erschwert und mir letztendlich die Lust am Weiterlesen genommen. Doch ich mag den Autor sehr gerne, ›Liebe in Zeiten der Cholera‹ ist eines meiner Lieblingsbücher, und irgendwann werde ich auch die hundertjährige Einsamkeit zu Ende lesen wollen.

Was war das letzte Buch, das dich zum Lachen gebracht hat?
Das kann ich gar nicht so genau sagen. Das letzte Mal, dass ich so sehr bewusst lachen musste, dass mich die Leute in der S-Bahn angeguckt haben, war bei einer Szene in ›Als wir träumten‹ von Clemens Meyer. Walter und Danie gingen nach einer Katastrophenübung in den Schulkeller, um eine der Tragen, die zum Transport der Verletzten dient, in das dafür vorgesehene Lager zu verstauen. Dort zerschlugen sie mit der Trage eine Neonröhre. Ich fand es zum Brüllen komisch, als der Hausmeister herunter eilte und nach wutentbrannten Schreien versöhnlichst erklärte, dass es sich bei der eben zu Bruch gegangenen Röhre lediglich um »Russenmist« handelte. Wahrscheinlich findet das keiner witzig, aber ich weiß nicht, wie oft der Begriff in DDR-Erzählungen meiner Bekannten und Verwandten gefallen ist. Und jetzt sagt der Hausmeister dieses Wort! Ich habe ihn das richtig sagen hören. Danach musste ich erstmal das Buch in die Tasche legen und konzentriert aus dem Fenster gucken.

Was war das letzte Buch, das dich zum Weinen gebracht hat?
Eigentlich weine ich nie beim Lesen eines Buches. Natürlich bin ich traurig, wenn tolle Figuren sterben oder eine gern gelesene Geschichte endet, aber ein bisschen weinen musste ich bis jetzt nur einmal: Das Buch heißt ›Sieben Minuten nach Mitternacht‹ von Patrick Ness und Siobhan Dowd und erzählt eine Geschichte vom Verlust eines geliebten Menschen. Seit Conors Mutter unheilbar an Krebs erkrankt ist, wird er um sieben Minuten nach Mitternacht von einem Monster aufgesucht. Allmählich werden dem Leser die Auswirkungen des Monsters auf Conor und sein Schicksal sehr bewegend bewusst. Mich hat an dem Buch alles fasziniert: von der Geschichte bis zu ihrer Aussage, den eindrucksvollen Charakteren bis zu den wirklich sehr schönen Illustrationen.

Was ist deine liebste Romanfigur?
Ich habe viele. Oft sind es die aus dem Buch, das ich gerade lese. Aber besonders mag ich Romanfiguren, die so unverfälscht beschrieben werden und so viel Lebendigkeit ausstrahlen, dass man das Gefühl bekommt, dass sie dem wahren Leben entrissen worden seien. Figuren, die überaus greifbar wirken. Spontan fallen mir Raskolnikow, Johannes Pinneberg oder Alaska aus ›Looking for Alaska‹ von John Green ein. Natürlich mag ich sofort Figuren, die witzig und einfach liebenswert sind, wie Simpel aus dem gleichnamigen Roman von Marie-Aude Murail, doch muss ich mich nicht zwangsläufig mit dem Handeln, Wünschen, Sorgen und Ängsten einer Romanfigur identifizieren, um sie zu mögen.

Welches Buch empfiehlst du für einen Städtetrip nach Leipzig?
Spontan fällt mir wieder ›Als wir träumten‹ ein. Ich habe von dem Buch schon kurz gesprochen und finde es irre! Es erzählt vom Aufwachsen der vier Jugendlichen Daniel, Rico, Mark und Paul in den Nachwendejahren der Stadt. Sie ziehen durch die Straßen Leipzigs; zerschlagen Autos, klauen, legen sich mit den »Glatzen« an und liefern sich Verfolgungsjagden mit der Polizei. In dem Roman ist die Stadt für mich Bühne und Darsteller gleichermaßen. Doch hat die beschriebene Atmosphäre des Nachwende-Leipzigs nicht viel mit dem Leipzig zu tun, das ich kenne. Leider habe ich bei der Wahl meiner Bücher nie darauf geachtet, ob sie in Leipzig spielen und kann darum keine weiteren Empfehlungen aussprechen.

Manchmal schämt man sich dafür, ein bestimmtes Buch zu mögen – hast du eins?
Bei ›Not That Kind of Girl‹ von Lena Dunham habe ich mich ein wenig im Zug geschämt und den Umschlag abgemacht. Aber sonst habe ich noch nie ein Buch gelesen und mich dafür schämen müssen. Entweder ich mag ein Buch, oder ich mag es nicht.

Gibt es ein Buch, das alle Welt liebte, nur du fandest es doof?
Das ist mir zum Glück noch nicht passiert.

Welches Buch sollte deiner Meinung nach jeder gelesen haben?
Schwierige Frage. Meiner Meinung nach muss die Frage nach dem Buch, das jeder gelesen haben muss, auch jeder für sich beantworten. Texte werden von jedem anders wahrgenommen. Vielleicht ist man nach der Lektüre eines als dringend empfohlenen Buches von diesem enttäuscht. Stichwort Schullektüre. Diese Texte wurden auch als »unbedingt lesen« eingestuft und manchmal hat man sich nach dem Lesen gefragt, ob das jetzt wirklich sein musste.

Welches Buch hast du nie gelesen und wünschtest, du hättest es?
Wahrscheinlich einen der Kinderbuchklassiker wie ›Moby Dick‹ oder Charles Dickens ›Weihnachtsgeschichte‹. Die Storys kenne ich aus Nacherzählungen, Verfilmungen oder Theaterüberarbeitungen, aber die Bücher habe ich leider nie gelesen.

Zu welchem Buch kehrst du immer wieder zurück?
Zu keinem bestimmten. Wenn ich mir ein Buch anschaue, das ich mag, nehme ich es heraus, schlage es irgendwo auf und lese darin. Doch ein Buch, das ich schon mehrmals gelesen habe, gibt es leider nicht – aber das kann sich ja noch ändern.