Hinter den Kulissen

Was liest Michi Strausfeld?

Michi Strausfeld gilt als d i e Kennerin der spanischsprachigen Literatur und Buchwelt. Wir stellen ihr zwölf Fragen zu ihrem Lesealltag und greifen heiße Buchtipps ab.

Michi Strausfeld, Hispanistin, Anglistin, Romanistin, promovierte über Gabriel García Márquez und den neuen Roman Lateinamerikas. Herausgeberin zahlreicher Anthologien und Materialienbände, u.a. »Schiffe aus Feuer«. Sie lebt in Berlin und Barcelona. Im Mai 2012 wurde Michi Strausfeld von der Buchmesse Buenos Aires auf die Liste der 50 wichtigsten Personen für die ...

Zur Autorin

Was lesen Sie gerade?
Drei neue Romane junger Autoren und einen Klassiker, allesaus Kolumbien. Nach einer schönen Reise ins Land ist die Neugier jetzt so groß, dass ich Unmengen Bücher verschlinge, um etwas besser zu verstehen, was passiert – vom komplexen Friedensprozess bis zu den neuen literarischen Formen, die ausprobiert werden. Spannend!

Papier oder E-Reader?
3x pdf, 1 x Papier (›Hundert Jahre Einsamkeit‹). Immer lese ich lieber Papier, aber für Reisen sind pdfs schon sehr angenehm. Außerdem kommen Novitäten fast alle nur noch elektronisch... 

Das letzte Buch, das Sie nicht bis zum Ende gelesen haben?
Michel Houellebecq, ›Unterwerfung‹. Meiner Meinung nach ein überschätzter Autor.

Das letzte Buch, das Sie zum Lachen gebracht hat?
Etgar Keret, ›Plötzlich klopft es an der Tür‹. Humor und Literatur gehen nicht so oft eine schöne Verbindung ein, aber Keret gelingt es, seine konfliktreiche Wirklichkeit mit Witz und Ironie einzufangen. Toll.

Das letzte Buch, das Sie zum Weinen gebracht hat?
Roger Willemsen, ›Es war einmal oder nicht. Afghanische Kinder und ihre Welt‹. Dieses Engagement des Autors beeindruckt mich sehr, in Deutschland schaut man viel zu selten mit Empathie über den Tellerrand. Die Texte und Bilder der Kinder gehen unter die Haut.

Ihre liebste Romanfigur?
Eigenwillige Frauen: Anna Karenina, Lata Mehra (›Eine gute Partie‹, Vikram Seth), Maria da Fe (›Brasilien, Brasilien‹ von J.U. Ribeiro) und viele mehr. Bei Seth und Ribeiro lernt man durch die Lektüre ihrer Romane zudem enorm viel über die Geschichte der beiden Länder – beste Unterhaltung, die den Leser mitnimmt und bereichert.

Welches Buch empfehlen Sie für einen Städtetrip nach Barcelona?
›Die Stadt der Wunder‹ von Eduardo Mendoza; ›Der Schatten des Windes‹ von Carlos Ruiz Zafón. Über Barcelona haben so viele Autoren geschrieben, dass man damit ein Bücherregal und mehr füllen kann. Aber diese beiden Romane sind »Klassiker« im besten Sinne.

Manchmal schämt man sich dafür, ein bestimmtes Buch zu mögen – haben Sie eins?
Fällt mir schwer zu sagen, sicher etliche Kinderbücher, die heute nur Stirnrunzeln hervorrufen (von ›Nonni‹ über die Serien der ›Fünf Freunde‹ bis zu den sicher schlimmen ›Mädchenbüchern‹ – ein breites Spektrum).

Gibt es ein Buch, das alle Welt liebte, nur Sie fanden es doof?
Tolkien, ›Der Herr der Ringe‹. Und ich habe es wirklich versucht, denn ›Der kleine Hobbit‹ hatte mich begeistert. Vielleicht bin ich nicht so geeignet für »Fantasy«?

Welches Buch sollte Ihrer Meinung nach jeder gelesen haben?
Montaigne, ›Essais‹. Diese »Versuche« des großen Humanisten, sich und seine Welt zu erkunden, die wichtigen Themen zu behandeln (Freundschaft, Fremde, Müßiggang, Einsamkeit, Eitelkeit) begleiten mich seit dem Studium (Seminararbeit!): 107 grandiose und zeitlose Essays.

Welches Buch haben Sie nie gelesen und wünschten, Sie hätten es?
Thomas Mann, ›Joseph und seine Brüder‹. Ein guter Freund sagte mir vor vielen Jahren: in jedem Sommer ein Werk der Weltliteratur lesen: ›Moby Dick‹, ›Rot und Schwarz‹, ›Der Mann ohne Eigenschaften‹, ›Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‹, ›Ulysses‹ – querbeet durch Sprachen und Länder. Etliche habe ich geschafft, aber dieses fehlt ... leider.

Zu welchem Buch kehren Sie immer wieder zurück?
Erzählungen von Julio Cortázar, von den vielen großen Lateinamerikanern vielleicht mein Lieblingsautor. Seine Kurzgeschichten sind verspielt-hintergründig und bieten einen erfrischend originellen Blick auf Menschen und Situationen. Texte von Camus, weil die Lektüre der ›Pest‹ als Neunzehnjährige ein prägendes Erlebnis war und ich im Philosophikum Camus als ein Hauptthema wählen konnte. Sisyphos ist ein großartiger Held.