Hinter den Kulissen

Was liest Teresa Pütz?

Ginjinhagetränkte Unruhe aus Lissabon, Lachen, ohne mit Volker Weidermann zu weinen, Schiffbruch mit Marilyn, und mit Baldwin und Orwell zurück in die Zukunft: Unsere Kollegin Teresa Pütz vom Internationalen Lektorat hat sich des Lese-Fragebogens angenommen.

Was liest du gerade?
Manuskripte, Manuskripte, Manuskripte… da bleibt oft wenig Zeit für anderes. Trotzdem schaffe ich es stets, gleich mehrgleisig zu fahren. Seit meiner letzten New York-Reise ist meine aktuelle Playlist besonders lang, darunter Colson Whiteheads ›The Underground Railroad‹ und Dave Eggers’ ›Heroes of the Frontier‹. Dort habe ich auch James Baldwin (wieder-)entdeckt. Den Dokumentarfilm ›I Am Not Your Negro‹ kann ich in diesem Kontext nur jedem ans Herz legen, ein beeindruckendes wie beängstigendes Zeitdokument, das unserer Gegenwart den Spiegel vorhält, und zeigt, wie aktuell der Kampf um Menschen- und Bürgerrechte ist.
And for something completely different: Chris Kraus‘ ›I Love Dick‹ (mal wieder!) sowie Ricardo Adolfos ›Maria dos Canos Serrados‹ (Maria von den abgesägten Gewehrläufen), ein Geschenk von Barbara Mesquita, die den Roman aus dem Portugiesischen übersetzt hat, und meine Passion für Lissabon kennt – ein herrlich erfrischender Stoff, der mit der stereotypen Fado-Romantik, die man dieser Stadt oft anhängt, wenig zu tun hat. 

Liest du auf Papier oder auf einem E-Reader?
Beruflich bin ich digital unterwegs, da eindeutig praktischer und rückenschonender, wenn man bedenkt, welche Manuskriptberge ich oft mit in den Feierabend und ins Wochenende nehme. Privat allerdings ausschließlich Papier, da bin ich konservativ, ich brauche das haptische Erlebnis.

Was war das letzte Buch, das du nicht bis zum Ende gelesen hast?
Der Klassiker, in zweierlei Hinsicht: James Joyces ›Ulysses‹. Nicht nur einen Anlaufversuch habe ich hinter mir, aber diese Lektüre bleibt für mich bislang eine unendliche Odyssee. Es gibt da dieses berühmte Foto von Marilyn Monroe, auf dem sie im quietschbunten Badeanzug auf einem Spielplatz (um ja die Leichtigkeit der Lektüre zu unterstreichen!) völlig vertieft in ein zerlesenes Exemplar von ›Ulysses‹ zu sein scheint. Und mir ist völlig gleich, hat sie wirklich oder hat sie nicht. Jedenfalls habe ich mir einen Spaß daraus gemacht, dieses Foto auszudrucken und als Lesezeichen hineinzulegen, so, dass der blonde Schopf etwas hervorlugt. Und jedes Mal, wenn ich am Couchtisch vorbeigehe, auf den ich es mittlerweile schön prominent und zu Selbstgeißelungszwecken gelegt habe, dann denke ich mir immer: »Ach, die Marilyn, bis zum Penelope-Kapitel wirst du es doch auch mal schaffen …«

Was war das letzte Buch, das dich zum Lachen gebracht hat?
Jonathan Safran Foers ›Here I Am‹, dabei hat der Roman so viele Momente tiefster Traurigkeit, aber am Ende obsiegt doch immer Foers unglaublich kluger Sprachwitz. Lachen, ohne zu weinen, das haben mich in der Jugend und seitdem immer wieder aufs Neue allerdings zwei ältere Herren gelernt: Der stichwortgebende Kurt Tucholsky, vor allem als politischer Satiriker, ›Mit 5 PS‹ oder ›Deutschland, Deutschland über alles‹, dem Bildband, den er mit John Hearfield herausgebracht hat. Der zweite ist Douglas Adams, in meinen Augen ein völlig unterschätzter Autor, dessen Anhalter-Serie grandios, aber nicht einmal das Beste seines Schaffens war, wie ich finde.

Was war das letzte Buch, das dich zum Weinen gebracht hat?
Foer einmal beiseite, wirklich zum Weinen bringen mich Bücher eher selten. Obwohl ich mit einem ganz aktuellen Beispiel dienen kann: Hanya Yanagiharas ›Ein wenig Leben‹, für das ich eine gewisse Hassliebe empfinde. Der Roman ist auf abstoßende Weise schön. Und wer hätte gedacht, dass Volker Weidermann und ich einmal die gleichen Gefühle teilen? Ich jedenfalls nicht. 

Was ist deine liebste Romanfigur?
Da kann und möchte ich mich ungern festlegen, aber Ullas Hahns Hilla Palm und Douglas Adams' depressiver Roboter Marvin sind definitiv darunter.

Welches Buch empfiehlst du für einen Städtetrip nach Lissabon?
Am besten entdeckt man diese wunderbare Stadt ohne ein Buch vor der Nase, auch aus Sicherheitsgründen, die gepflasterten steilen Gassen haben es in sich. Aber es gibt zwei schöne Reisebegleiter, die auch in jede Hand- bzw. Hosentasche passen: Fernando Pessoas ›Mein Lissabon: Was der Reisende sehen sollte‹ und Antonio Tabucchis ›Lissabonner Requiem‹. Beides Liebeserklärungen an eine Stadt, die in dieser Form heute zwar nicht mehr existieren mag, aber deren Geist noch durch die Gassen weht. 

Manchmal schämt man sich dafür, ein bestimmtes Buch zu mögen – hast du eins?
Kategorisch nein! Wenn überhaupt Scham als Kategorie, dann doch ausschließlich bei Büchern, die man nicht gelesen hat – das ist zumindest meine Meinung.

Gibt es ein Buch, das alle Welt liebte, nur du fandest es doof?
Obwohl ich durchaus den Reiz verstehe, hat mich nie das Ferrante-Fieber gepackt – jedenfalls scheine ich bislang völlig immun dagegen. Doch ein Buch bzw. vielmehr ein Phänomen, das so völlig an mir vorbeigegangen ist, ist der Knausgård-Hype. Suum cuique, aber mir ist das zu viel banales und trostloses Ego-Jerking (Pardon my French) – ganz zu schweigen von der ständigen Teetrinkerei und Qualmerei. Ich bekomme jetzt noch Hustenanfälle, wenn ich an die letzte Lektüre zurückdenke.

Welches Buch hast Du nie gelesen und wünschtest, Du hättest es?
Da gibt es leider viel zu viele, David Foster Wallaces ›Infinite Jest‹ gehört dazu. Vor allem würde ich wieder gerne mehr Sachbücher lesen, z.B. Yuval Noah Hararis Buch ›Eine kurze Geschichte der Menschheit‹, auf das mich eine Freundin aufmerksam gemacht hat. Sowie sein ganz aktuelles Buch ›Homo Deus‹.

Welches Buch sollte Deiner Meinung nach jeder gelesen haben?
Aus aktuellem Anlass: George Orwells ›1984‹. Wenn man in diesem Roman über eine Regierung liest, die das Fremde dämonisiert, es mit der Meinungsfreiheit wenig hat und stattdessen lieber eigene ‚Fakten‘ erzeugt, versteht man, wie erschreckend hellsichtig Orwell gewesen ist. Auch die Tatsache, dass diese Dystopie von 1949 Anfang des Jahres wieder auf den Bestsellerlisten stand und zahlreiche Kinos in den USA die Filmadaption von Michael Radford gerade wieder auf dem Spielplan haben, spricht Bände.

Zu welchem Buch kehrst du immer wieder zurück?
Fernando Pessoas ›O Livro do Desassossego‹ (Das Buch der Unruhe) ist meine Bibel, mein portugiesisches Zettelmeer der Melancholie, in das ich gerne versinke, wenn mich die Saudade packt. Das klingt nach der oben erwähnten kitschigen Fado-Romantik, aber von dieser ›Autobiographie ohne Ereignisse‹, wie Pessoa seinen Fragment-Roman selbst bezeichnete, sollte man sich nicht in die Irre führen lassen. Jeder Satz, und mag er noch so profan daherkommen, eröffnet einen ganzen Kosmos - über das Leben, Denken und Träumen. Ich flaniere jedenfalls immer wieder gerne einige Absätze mit dem Hilfsbuchhalter Bernardo Soares, der nur eines von Pessoas vielen faszinierenden Heteronymen ist. Ob Knausgård den Roman kennt? Vielleicht würde er dann vom Tee zum Ginjinha umschwenken.

Teresa Pütz
Teresa Pütz