AB: Ich hatte von Anfang an instinktiv ein gutes Gefühl nach der ersten telefonischen Annäherung. Und es brauchte nicht lange, bis ich so viel Vertrauen zu Heike aufbaute, dass ich ihr frei von der Leber weg alles erzählte, was in mir vor sich ging. Geholfen hat dabei sicher auch, dass ich das Natascha-Kampusch-Buch gelesen hatte, das Heike als Coautorin begleitet hat. Ich fand es an keiner Stelle voyeuristisch, effekthascherisch, unsensibel. Dieser Umgang mit so einem schwierigen Thema hat mich schon im Vorfeld von Heikes Können überzeugt.
Daher habe ich ihr auch recht schnell die Dokumente anvertraut, also das Tagebuch meines Opas und das transkribierte Interview , das ich für die Steven Spielberg Visual History Foundation in den 1990er-Jahren mit meiner Mutter geführt hatte.
HG: Als der S. Fischer Verlag mit der Frage an mich herantrat, ob ich das Projekt übernehmen würde, hat mich vor allem die große Herausforderung gereizt. Hier ging es nicht um eine Momentaufnahme, um einen bestimmten Abschnitt im Leben einer Person, sondern um etwas sehr viel Umfassenderes: Um die Geschichte zweier Familien über drei Generationen hinweg, und um ein Jahrhundert, das von Kriegen, Vertreibung, Vernichtung geprägt war. Dazu kamen diese unglaubliche Liebesgeschichte und das einzigartige filmische Vermächtnis von Artur Brauner, sein Aufstieg zum größten Filmproduzenten des Landes.
Nachdem schnell klar war, dass Alice und ich uns auf der persönlichen Ebene sehr gut verstehen würden, haben wir uns regelmäßig getroffen, Alice hat erzählt, ich habe die Gespräche aufgenommen und mir anschließend überlegt, wie wir all diese vielen Geschichten zu einer zusammenfügen könnten.
AB: Die komplexen Geschichten meiner Eltern so zu verweben, dass der Leser ihnen noch folgen kann. Und – bei aller Dramatik – nicht nur das Beschwerliche im ersten Drittel ihrer beider Leben zu beschreiben, sondern vor allem dem Humor, dem Optimismus, der Lebensfreude und der großen Liebe den notwendigen Raum zu geben.
HG: Neben der Dramaturgie war vor allem die historische Nachrecherche sehr zeitaufwendig. Allein die Fluchtroute von Arturs Familie zu rekonstruieren, war eine große Herausforderung – viele Orte hatten wegen der sich politisch stetig verändernden Lage unterschiedliche Namen oder fielen mit einem Mal in andere Besatzungsgebiete. Auch die Fülle der Erlebnisse dieser beiden Jahrhundertmenschen Artur und Maria, mit denen man gut drei Bücher hätte füllen können, auf Wesentliches »einzudampfen«, war knifflig.
AB: Anfangs schien mir der Gedanke befremdlich, aber nach der ersten Begegnung mit Heike waren alle Zweifel verflogen.
Wenn man so ein Vorhaben angeht, muss man sich selbst fragen, ob man die Geschichte der eigenen Familie, die einem immer noch sehr nahe geht, mit dem nötigen Abstand, ohne zu rührselig oder larmoyant zu werden, erzählen kann. Deshalb war es gut, dass Heike und ich zusammen daran gearbeitet haben.
Abgesehen von der Konzeption hat Heike inhaltlich einen immensen Beitrag geleistet, indem sie viele historische Fragen nachrecherchiert hat und nahezu immer fündig geworden ist, wenn wir bezüglich der Überlebensgeschichte meiner Eltern eine nachträgliche Kontextualisierung, also eine Einbettung in die historischen Geschehnisse der Zeit, vornehmen wollten.
HG: Ich habe mich schon früher intensiv mit der NS-Geschichte und dem Holocaust beschäftigt, das kam mir hier sicher zugute. Während der Schreibphase habe ich mich für fast zwei Monate aus meinem »normalen« Alltag ausgeklinkt, um in einem Häuschen im Allgäu ganz in die Familiengeschichte der Brauners einzutauchen. Alice hat mir gleich zu Anfang einen ganzen Schwung DVDs gegeben, damit ich mich auch intensiv mit Arturs Filmen und der Geschichte der CCC beschäftigen konnte. Außerdem habe ich jeden Interview-Schnipsel der beiden gelesen, den ich finden konnte. Am wichtigsten waren aber die persönlichen Erzählungen von Alice.
AB: Ich habe das gar nicht als Arbeit empfunden. Für mich hatten die vielen Gespräche mit Heike fast therapeutischen Charakter, denn ich bin bis heute noch nicht wirklich über den Tod meiner Eltern hinweggekommen. Außerdem hat sich aus den unzähligen gemeinsamen Stunden und Telefonaten so etwas wie eine Freundschaft ergeben. Könnte es besser laufen?
HG: Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen! Es war eine wunderbare Zeit, sehr bereichernd – auch jenseits des Projekts –, deren Ende dann doch rasend schnell gekommen ist. Jetzt freue ich mich darauf, das gemeinsam Erreichte erst einmal zu feiern. Und wer weiß, vielleicht haben wir ja demnächst noch eine Idee für ein neues Projekt!
AB: Es war und ist mir ein Anliegen, nicht anstelle der Zeugen vom Geschehenen zu erzählen, sondern Zeugenberichte unter Angabe des zugehörigen Namens zusammenzuführen, damit nichts, was sich zwischen 1933 und 1945 zugetragen hat, dem Vergessen preisgegeben wird. Dadurch soll gleichsam vermieden werden, sich die Erfahrungen der Shoah-Überlebenden anzueignen. Paul Celans Diktum, demzufolge Niemand für den Zeugen zeugt, steht mir dabei immer vor Augen.
AB: Meine Eltern waren mit beiden Institutionen sehr verbunden, und sie liegen auch mir sehr am Herzen. Ich will mit der Lebensgeschichte meiner Eltern kein Geld verdienen, sondern den Menschen auf der ganzen Welt zeigen, was für einzigartige Persönlichkeiten sie jeder für sich, aber auch gemeinsam waren.
In Yad Vashem befindet sich die Artur-Mediathek, in der nahezu alle unsere Filme, die den Opfern des Holocaust gewidmet sind, angeschaut werden können. Die Erhaltung dieses Archivs kann mit Hilfe der Erlöse aus dem Buch fortgesetzt werden.
Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt beherbergt seit Jahrzehnten das gesamte Artur-Brauner-Archiv. Hier finden sich über 20.000 Set- und Standfotos, private Bilder, Verträge mit Cast und Crews aus über sieben Jahrzehnten. Dieses Archiv dient auch nachwachsenden Generationen, die sich mit Film und dessen Geschichte befassen. Mit Hilfe von Spenden, in diesem Fall den Erlösen aus dem Buch, kann es weiter so gut gepflegt und erhalten werden wie bisher. Das wäre vollständig in meinem Sinne.