Interviews

»Das unmögliche Theater ist möglich«

Das jüngste Hörspiel von Wolfram Lotz, ›Die lächerliche Finsternis‹, wurde gerade am Akademietheater in Wien uraufgeführt. Seine Lektorin Friederike Emmerling hat ihn dort getroffen, mit ihm über seine Arbeit, das »unmögliche« und das politische Theater gesprochen und uns den ›Prolog des somalischen Piraten‹ mitgebracht.

Wolfram Lotz und ich trafen uns zwei Tage vor der Uraufführung von ›Die lächerliche Finsternis‹ am Akademietheater in Wien um genau 12 Uhr mittags vor dem Hauptportal des Stephansdoms. Unser einziger Termin des Tages bestand aus dem Besuch einer öffentlichen Probe am Abend. Bis dahin konnten wir unsere Zeit frei gestalten. Was wir umgehend taten, indem wir einfach losliefen. Wir trieben durch die Stadt, weg vom Dom, durch Menschenmengen, prachtvolle Einfahrten, Plätze, Fiaker, Parkanlagen, Parkplätze, vorbei an Prunkbauten, Toilettenhäuschen, Schmetterlingshäusern, Würstelbuden. Als wir uns schließlich bei einem Eistee und einer Basilikumlimonade ausruhten, begannen wir ein Gespräch:

Wolfram, warum bist Du auch ein Dramatiker? (Auch, weil Wolfram ja natürlich noch viel mehr ist.)
Ich habe ja zunächst Lyrik und Prosa geschrieben, und es für ganz unmöglich gehalten, für das Theater zu schreiben. Das Theater schien mir immer ein ganz unbrauchbares, ein eigentlich unmöglich gewordenes Medium zu sein: Dieses hohle Dröhnen des Bühnenbodens, wenn einer die Bühne betritt, dann trägt er auch noch ein Kostüm, wie lächerlich, und dass er dann auch noch vorgibt, jemand anderes zu sein. Aber genau dieses Gefühl der Albernheit, der Künstlichkeit, das hat mich gepackt, und das macht gerade das Theater zu so einem tollen Medium, denn in der Kunst geht es ja immer auch um Künstlichkeit, deshalb heißt sie ja Kunst, und im Theater kann sich das so schlecht verstecken. Deshalb ist es so ein sympathisches Medium.

Wolfram, warum hast Du die Art, wie deine Stücke sind, mal als »unmögliches Theater« bezeichnet?
Es war zunächst nur ein ganz simpler Gedanke: Dass das Theater der Ort ist, an dem Fiktion und Realität tatsächlich kollidieren. Denn Theaterstücke sind ja nichts anderes als Anleitungen für die Wirklichkeit. Um diese Kollision geht es. Das haben mein Kollege Hannes Becker und ich nur versucht, wirklich ernst zu nehmen. Und seine Konsequenz hat das unter anderem darin, dass in der Fiktion für das Theater auch Unmögliches gefordert wird. Denn gerade im sogenannten Unmöglichen wird die Wirklichkeit ja sichtbar, ihre Begrenzungen, ihre Zwänge. Dieser Konflikt muss gerade in Theaterstücken ausgetragen werden! Das ist vielleicht am deutlichsten sichtbar in manchen unmöglichen Regieanweisungen, aber es meint die gesamte Haltung eines Theatertextes. Ein Text des unmöglichen Theaters soll nicht einfach auf einer Bühne stattfinden können, sondern er soll ein Fehlen spürbar in die Inszenierung bringen. Es soll keine Erfüllung auf der Bühne zu sehen sein, sondern eine Sehnsucht. Darum geht es.

Diese Antwort bot so viel Anlass zum Sinnieren, dass wir schweigend weitergingen, um ein Schnitzellokal zu finden. Das dauerte, denn es gab viele und wir konnten uns nicht entscheiden, welches wohl am besten aussähe. Nicht einmal das Versprechen einer Lokalität, das beste Schnitzel Wiens zu servieren, vermochte uns zu überzeugen. Lieber gingen wir ins nächste Kaffeehaus und aßen dort gleich ein ausgezeichnetes Schnitzel, allerdings Wiener Art, und auch nicht sehr groß. Danach aßen wir noch jeder einen Palatschinken mit Zucker und Zimt und gerollt mit Schokoladencreme, und dann noch einen Apfelstrudel. Wolfram aß noch zwei Topfenkolatschen (die üppig mit Puderzucker bestreut waren), ich nur drei kleinere Salzburger Nockerln. Wolfram noch eine  recht winzige Portion Kaiserschmarrn, und nach einer kurzen Pause bestellte er sich noch Tafelspitz mit Apfelkren, was er allerdings nicht mehr ganz schaffte, also half ich ihm dabei. Gesättigt nahmen wir unser Gespräch wieder auf.

Wolfram, wie schaffst Du es, so harmlos auszusehen? (Es gibt Kritikerstimmen, die behaupten, Wolfram sähe viel harmloser aus, als er schreibe.)
Jaja, was soll ich da sagen, wenn sowas in den Kritiken steht. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Ich schiebe es immer darauf, dass ich ja immer, wenn ich für Kritiker sichtbar bin, also auf Premieren, die Haare gewaschen habe, auch ziehe ich mir ein frisches Hemd an und eine saubere Hose und meistens sogar frische Socken. Aber es ist wohl schon auch so, dass ich insgesamt keinen sehr furchteinflößenden Eindruck mache.  Das liegt vielleicht auch daran, dass ich ein krummes Kreuz und eine sogenannte Trichterbrust habe und deshalb immer ein wenig in mich zusammengesunken wirke. Und hinzu kommt, dass ich noch etwas stottere, was ja vielleicht auch irgendwie zu einem solchen Eindruck beiträgt. Wenn mir Leute zum ersten Mal begegnen, die meine Texte bereits kennen, bemerke ich doch immer wieder, dass sie erstaunt sind, dass ich auch ein relativ freundlicher Mensch bin. Ich sage immer Guten Tag und Danke, oft sage ich sogar Danke, wenn es gar keinen Grund dafür gibt. So arg wurde mir das mit der Freundlichkeit beigebracht.

Wolfram, meinst Du, dass das Theater politisch sein müsste? Oder anders gefragt – in welchem Maße kann das Theater politisch sein?
Ich möchte es mal andersherum formulieren: Es gibt für mich kein Medium, das nicht politisch wäre. Denn jedes Medium gibt ja Wirklichkeit auf irgendeine Art wieder, ganz gleich ob Nachricht oder Gedicht, ich kann das im Kern sowieso nicht unterscheiden. Und diese Beschaffenheit der Ausschnitte - oder man könnte auch sagen: diese Erzählungen – formatieren ja unsere Wahrnehmung der Welt, wie wir die Welt überhaupt nur wahrnehmen können. Und wie wir die Welt wahrnehmen ist letztlich dafür entscheidend, wie wir in ihr handeln. Ein einfaches Beispiel wäre vielleicht: Wenn wir uns die Welt als Gut und Böse erzählen, fällt es natürlich viel leichter, Kriege zu führen, als wenn wir die Welt in unterschiedlichen Grautönen denken. Was ich damit sagen will: Es gibt kein unpolitisches Medium, und also auch keine unpolitische Kunst und also auch kein unpolitisches Theater. Deshalb kann ich auch nicht zwischen Kunst und Unterhaltung unterscheiden. Denn jede Erzählung formatiert unsere Wahrnehmung und somit letztlich unser Handeln. Und noch auf eine andere Art ist die Kunst und besonders das Theater politisch: Sie zeigt uns die Dinge und wir erkennen sie in ihr als künstlich, also als gemacht, und somit als veränderbar. Vor allem im Theater, wo sich die Künstlichkeit so schlecht verbergen lässt! Sicherlich kann es auch im Theater etwas geben, was auf konkretere Art »politisch« ist, was ganz direkt auf einen Missstand hinweist. Das ist manchmal notwendig, aber das ist letztlich nicht die Kunst, glaube ich. So wie ich ja auch durch die Welt gehe als Schriftsteller und die Welt literarisch behandele, aber manchmal muss ich auch anders handeln, zum Beispiel jemandem konkret helfen. Ich bin dann immer noch Schriftsteller, aber das hat ja damit dann nichts zu tun.

Mittlerweile war es spät geworden. Die lächerliche Finsternis wartete auf uns. Wir machten uns auf den Weg.  

Lesen Sie den ›Prolog des somalischen Piraten‹ als PDF.

Wolfram Lotz

Wolfram Lotz

Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg, wuchs im Schwarzwald auf. Er studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2011 gewann er mit DER GROSSE MARSCH u.a. den Kleistförderpreis und den Publikumspreis des Berliner Stückemarktes. In der Kritikerumfrage von Theater heute wurde er zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Nach dem Erfolg von EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL erhielt er 2012 den Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft und 2013 den Kasseler Förderpreis für Komische Literatur. DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Im selben Jahr erhielt Wolfram Lotz den Nestroypreis für das Beste Stück und wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Dramatiker des Jahres gewählt.