Den drei Frauen im »Zopf« gelingt es, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und ihrem Leben eine Wendung zu geben. Die meisten Menschen bleiben in ihren vorgegebenen Bahnen, egal wie schlimm diese sind. Warum fällt es dem Menschen so schwer, etwas zu verändern?
Ich glaube, dass alles, was neu ist, Angst macht. Das Bestehende gibt Sicherheit. Smita, Giulia und Sarah setzen alles für ein neues Leben aufs Spiel, für sie ist es aber ein lebenswichtiger Einsatz: wenn sie überleben wollen, müssen sie kämpfen. Alle drei werden mit einer dramatischen Situation konfrontiert, der sie nicht ausweichen können. Sarah erfährt, dass sie Krebs hat, Giulias Vater, der das Familienunternehmen führte, stirbt, Smita muss mit ansehen, wie ihre Tochter (so wie sie selbst) gedemütigt wird. Aber das Leben stellt uns ja nicht immer vor ähnlich extreme Herausforderungen – zum Glück!
In Ländern wie Indien wird die Frau ganz eindeutig unterdrückt, das sehen wir in Ihrem Roman auch bei Smita. Aber in den westlichen Ländern wie Kanada und Italien, sollte man meinen, ist die Gleichberechtigung weit vorangeschritten. Gibt es in dieser Hinsicht noch viel zu tun?
Ich glaube, dass wir in der Hinsicht noch einen langen Weg vor uns haben! Hinter der vermeintlichen Gleichberechtigung in den Industrieländern verbirgt sich eine schreiende Ungerechtigkeit, die nicht offensichtlich ist, was ich an Hand von Sarah erzählen wollte. Die Gläserne Decke ist keine Legende, sondern ein Fakt, mit dem sich quasi alle berufstätigen Frauen konfrontiert sehen. Neulich habe ich eine Studie des Weltwirtschaftsforums gelesen, die besagt, dass sich die Gehälter von Frauen und Männern erst im Jahre 2186 angeglichen haben werden. Neben dieser Ungerechtigkeit gibt es natürlich noch andere.
Die Lebensbedingungen der drei Frauen im »Zopf« sind extrem unterschiedlich, aber dennoch bringen Sie sie zusammen. Warum?
Sie zusammenzubringen hat mir erlaubt, die Unterschiede hervorzuheben, und gleichzeitig das, was sie verbindet. Augenscheinlich haben Smita, Giulia und Sarah nichts gemein, sie leben auf verschiedenen Kontinenten, leben weder in derselben Kultur noch Religion. Sie sprechen nicht dieselbe Sprache, leben auf sozialem unterschiedlichen Niveau, und ihre jeweiligen familiären Situationen sind auch sehr verschieden. Sie gehören nicht demselben gesellschaftlichen Gefüge an, aber dennoch steckt jede von ihnen in einer Rolle fest, die man ihr zugeschrieben hat. Das, was sie über die Unterschiede hinaus verbindet, ist ihr Lebenswille, ihre Energie, die ihnen erlaubt, eine gewisse Freiheit zu erkämpfen, »Widerstand« zu leisten, sich zu emanzipieren.
»Der Zopf« spielt in Italien, Kanada und Indien. Waren Sie schon mal in all diesen Ländern?
Ja, ich war in allen drei Ländern, aber »nur« als Touristin. In Indien hatte ich das Glück, einer Frau zu begegnen, die Smita hieß (ich würdige sie in meinem Roman, indem ich die Heldin des indischen Erzählstrangs nach ihr benannt habe) und mir Mumbai und Umgebung gezeigt hat. Sie ist der Grund, warum ich mehr über das Land wissen wollte, über seine Kultur und Gesellschaft. Nach dieser Reise habe ich mich intensiver mit Indien befasst und viel recherchiert, ich habe Erstaunliches und Erschütterndes erfahren. Bei den Recherchen für meinen Roman habe ich unzählige Berichte und Dokumentationen zu Indien gelesen und angesehen, über die Kaste der Unberührbaren recherchiert, die Lebensbedingungen der Frauen, die Tempel, die Rattenfänger, die, die Latrinen säubern… Ich habe Reportagen zu Italien gesehen, zu Sizilien, über die Präparierung von Haaren, die Tradition der Cascatura, über Familienbetriebe dort… Von den drei Ländern kenne ich Kanada am besten, ich habe dort mehrere Freunde und besuche sie regelmäßig.
Die Haare sind das große verbindende Thema des Romans. Haare stehen für vieles. Das weibliche Haar bedeutet Verführung. Verliert eine Frau ihr Haar durch eine Krankheit, verliert die Frau auch ein entscheidendes Merkmal ihrer weiblichen Identität. Wie kamen Sie auf das Thema Haare?
Vor ungefähr zehn Jahren hat mir meine Mutter von einer Fernsehreportage erzählt, die von der indischen Tradition berichtete, das eigene Haar einem Gott zu opfern, danach wollte ich mehr über diesen Brauch erfahren. Und vor zwei Jahren erkrankte eine Freundin an Krebs und bat mich, mit ihr eine Perücke auszusuchen, so kam das Thema Haare schlagartig zu mir zurück. Ich hatte eine Art Flash, eine plötzliche Inspiration: Drei Frauen irgendwo auf der Welt, die nicht voneinander wissen, aber durch diesen intimen Gegenstand, die Haare, verbunden sind. Ich habe mich sofort an die Arbeit gemacht.
Ihr Roman ist eine Hymne auf den Mut aller Frauen, aber zugleich auch ein Appell: Frauen dieser Welt, befreit Euch von ungerechten Machtstrukturen. Was gab den Anstoß für diese Botschaft?
Mir fiel auf, dass ich die Frauen um mich herum sehr bewundere. Ihren Mut! Es sind starke Frauen, tiefgründige, großzügige und unglaublich belastbare Frauen. Meine Freundinnen sind für mich eine Quelle der Inspiration. Sie im »Zopf« zu würdigen hat sich mir ganz einfach aufgedrängt.