Erst ›Roter Flieder‹, dann ›Schwarzer Flieder‹, plant man so etwas bereits bei den Vorüberlegungen zu einem Romanprojekt, oder merkt man irgendwann, wenn das erste Buch fertig ist, dass noch nicht alles erzählt ist?
Mein Vorhaben war von Anfang an, die Geschichte bis in die unmittelbare Gegenwart zu erzählen. Dass es zwei Bücher werden sollten, beschloss ich während der Arbeit an ›Roter Flieder‹. Obwohl sie nahtlos zusammenhängen, liegt zugleich eine Kluft zwischen ihnen – epische Breite hier, Knappheit, Konzentriertheit dort. Vergangenheit und Jetztzeit. So groß ist diese Kluft, dass man die beiden Romane auch völlig unabhängig voneinander lesen kann.
Deine Romane spielen alle entweder ganz im ländlichen Oberösterreich, oder die Protagonisten haben zumindest ihre Wurzeln dort. Es ist die Region, aus der Du stammst, trotzdem die Frage: Warum?
Es ist nicht so, dass ich meine Romane irgendwo ansiedeln würde. Meine Sprache und jene Gegend gehören für mich fundamental zusammen. Sowohl meine Erinnerung als auch meine Phantasie sind dort zu Hause. Anders gesagt: Ich würde vielleicht nicht schreiben, stammte ich von wo anders her.
Heißt das, dass auch Deine Träume meistens dort angesiedelt sind?
Ich weiß nicht, nein, eher nicht. Der letzte, an den ich mich erinnere, spielte in einem Wald – welcher Wald? Ich weiß es nicht.
Welche Rolle spielen Träume für Dein Schreiben?
Ich lese Traumszenen immer mit besonderem Interesse, für meine Arbeit spielen Träume aber kaum eine Rolle.
Hast Du einen Lieblingsort?
Keinen Lieblingsort, nein. Freilich gibt es viele, die mich beschäftigen.
Was bedeutet Dir dein Schreiben?
Das Schreiben ist meine Arbeit. Suchen und Finden und Suchen. Frage und Antwort und Frage.
Gibt es bei Dir eine saubere Trennung zwischen Arbeit und Freizeit? Arbeitet der Kopf nicht weiter, auch wenn Du nicht schreibst?
So ganz klar ist die Linie nicht, aber man kann sich ein wenig trainieren, um sie klarer zu machen.
Eine Frage, die mich als Editionswissenschaftler interessiert, ist natürlich, wie schreibst Du? Mit der Hand, mit dem Computer oder der Schreibmaschine? Hinterlässt der Autor Reinhard Kaiser-Mühlecker etwas für ein Archiv?
Meistens schreibe ich auf dem Computer, aber nicht immer; mein Stück ›Die Therapie‹ und ›Schwarzer Flieder‹ etwa habe ich mit der Hand geschrieben. Diese Manuskripte und andere liegen irgendwo herum – ich bin kein großer Archivar.
Denkst Du, die Schreibtechnik hat Einfluss auf das Erzählen?
Das glaube ich nicht. Vielleicht zögert man am Anfang des Tages ein wenig mehr, wenn man mit der Hand schreibt, aber sobald die ersten Sätze geschrieben sind, spielt das alles keine Rolle mehr. Die Sprache, die Bilder leiten, nicht die Technik.
Was zeichnet in Deinen Augen einen guten Erzähler aus?
Der Erzähler muss durchdrungen sein von dem, wovon er schreibt. Es ist dann für mich fast ganz gleichgültig, wovon er schreibt. Recherche oder Begeisterung – das allein reicht nicht aus. Er selbst muss sein, was er schreibt.
Welche Rolle spielt der künftige Leser dabei? Wie wichtig ist er Dir?
Natürlich wünsche ich mir, dass viele Leute meine Bücher lesen und etwas damit anfangen können. Aber ich phantasiere sie nicht herbei: Beim Schreiben besteht das Publikum nur aus mir.
Würdest Du mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass Schreiben sehr viel mit Freiheit zu tun hat, Freiheit, eine Welt nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, aber auch Befreiung von Dingen, die den Schreibenden bedrängen und an denen er vielleicht seine Protagonisten sich abarbeiten lässt?
Die Freiheit, die ich darin sehe, ist folgende: Den Zumutungen, denen die meisten »normal« Berufstätigen ausgesetzt sind, entkomme ich; kein Fremder verlangt Rechenschaft darüber, was ich mit meinem Tag anfange. Aber die Freiheit beim Gestalten ist endlich, die Phantasie lässt sich nicht dirigieren. Und Befreiung von Dingen, die einen bedrängen, wäre vielleicht gerade das Umgekehrte: nicht darüber zu schreiben. Vielleicht aber soll man sagen: man wandelt um.
Geht es in ›Roter Flieder‹ auch um Freiheit oder Befreiung?
In dem Buch geht es um so vieles, aber ja, vielleicht auch um Freiheit und Befreiung, ob es sie nun gibt oder nicht, ob sie nun gelingt oder nicht.
Du kommst vom Land, hast Agrarwissenschaft studiert und nicht den heute häufig üblichen (und im Feuilleton gerade gern kritisierten) Weg über ein Schreibinstitut gewählt. Inzwischen bist Du längst ein arrivierter Autor. Aber wie hast Du den literarischen Betrieb erlebt und empfunden, als Du plötzlich mit dem ersten Buch im Fokus der Aufmerksamkeit standst?
Jedenfalls nicht als das Schlangennest, als das es gerne bezeichnet wird. Man trifft ja zunächst nur einzelne Menschen und kann nichts Ganzes erkennen. Mir ist allerdings immer noch, als sei das alles sehr weit weg von mir und als würde ich es lediglich vom Hörensagen kennen.