Interviews

»Ich kann Geschichten nicht nur verschlingen, ich kann auch welche schreiben.«

Sein Roman ›City on Fire‹ erscheint in diesen Tagen auf Deutsch. Ein Gespräch mit dem jungen amerikanischen Autor Garth Risk Hallberg über die magischen Stunden vor Sonnenaufgang, Patti Smith und New York City.

Garth, wie kamst Du dazu, ›City on Fire‹ zu schreiben?
Die Idee zum Buch kam mir 2003, ich saß gerade in einem Greyhound Bus auf dem Weg von Washington D.C., wo ich damals lebte, nach New York City, wo ich hinziehen wollte. Ich hatte mich schon in New York verliebt, als ich die Stadt mit 17 das erste Mal besuchte. Oder vielleicht noch viel früher, als ich Beat- und New-York-School-Gedichte las und verrückt nach Punk war, Punk aus den 70ern. Nach dem 11. September fühlte es sich so an, als seien all diese Dinge, die New York City für mich ausmachten – die Freiheit, die Entschlossenheit, die Schönheit, die Unerschöpflichkeit, die Verrücktheit dieser Stadt, der durchgeknallte Mix an Menschen, die Großzügigkeit Fremden gegenüber – in Gefahr geraten. Und ich wollte etwas davon festhalten.

Ich sitze also in diesem Bus und vor mir taucht die Skyline New Yorks auf, die mich schon als Jugendlicher fasziniert hat, nur dass die beiden höchsten Türme jetzt fehlen. Ich höre Musik auf dem iPod, und da läuft ausgerechnet ein Billy Joel-Song über den Stromausfall von 1977:
»Seen the lights go out Broadway
I saw the Empire State laid low (...)


I've seen the lights go out on Broadway
I saw the ruins at my feet
You know we almost didn't notice it
We'd seen it all the time on Forty second street


They burned the churches down in Harlem
Like in that Spanish civil war
The flames were everywhere
But no one really cared
It always burned up there before


I've seen the lights go out on Broadway
I saw the mighty skyline fall (...)


There are not many who remember
They say a handful still survive
To tell the world about
The way the lights went out
And keep the memory alive


Was hat das in Dir ausgelöst?
Es fühlte sich so an, als hielte mir dieser Song einen Spiegel vor, und plötzlich hatte ich die Idee für den Roman in sehr roher Form vor mir: eine Vorstellung von seiner Dimension, Komposition, seinem Plot, eine erste Ahnung von den Figuren. Es war wie eine Explosion an Bildern. Oder wie Henry James gesagt hat: »A sense of possession took hold.« Ich dachte: »Das ist ein Buch. Das ist ein Buch, das ich schreiben werde.« Ich stieg aus dem Bus, lief in einen Park downtown und begann, fieberhaft in ein Notizbuch zu kritzeln. Nach zehn Minuten bekam ich es mit der Angst, es fühlte sich an, wie einen Elektrozaun anzufassen, und klappte das Notizbuch wieder zu. Ich dachte: »Das ist zu viel für mich, ich komme in zehn Jahren noch mal darauf zurück, wenn ich ein besserer Schriftsteller bin.« Tatsächlich sind dann viereinhalb Jahre vergangen, bis ich mich wieder daran getraut habe.

Wie lange hast Du am Manuskript geschrieben?
Vom Herbst 2007 an, als ich mich wieder an das Notizbuch wagte, dauerte es knapp drei Jahre, bis ich einen ersten Entwurf hatte. Dann habe ich das Manuskript drei Jahre lang überarbeitet. Dann habe ich es mit meinen Lektoren aus den USA und England durchgesehen, ich bin beim Überarbeiten etwas manisch. Alles zusammengerechnet also etwas über sechs Jahre.

Hattest Du den Titel des Romans von Anfang an im Kopf?
Noch wenige Tage, bevor es an die Verlage geschickt wurde, hatte das Manuskript einen anderen Titel. Dieser Titel ist im Buch versteckt, aber »City on Fire«, der Name von Charlie und Sams Lieblingssong der Punkband »Ex Post Facto« war irgendwie immer da, und es fühlt sich längst an wie der richtige Titel des Romans.

Wenn es einen Soundtrack zu ›City on Fire‹ gäbe, welche fünf Songs wären auf jeden Fall drauf?
•    Patti Smith – »Gloria«
•    Television – »Marquee Moon«
•    Lou Reed – »I'm So Free« (Vielleicht Williams Song, oder hätte er wohl gerne)
•    Billie Holiday – »I Cover the Waterfront« (Ich stelle mir vor, wie Richard sich diesen Song auf seiner Jukebox anhört, wenn er melancholisch ist)
•    Arcade Fire – »Neighborhoods III« (noch ein toller Song über den Stromausfall, der, wie die Rahmenhandlung des Romans, in unserer heutigen Zeit spielt)

Wolltest Du schon immer schreiben?
Es hat mich im Dezember 1984 gepackt. Unsere Grundschullehrerin hatte mit uns kleine Geschichten geschrieben und sie uns illustrieren lassen. Kurz vor Weihnachten brachte sie diese gigantische Bindemaschine mit und machte aus jeder kleinen Geschichte ein richtiges Buch. Dann kamen die Eltern in die Schule und sahen sich unsere Bücher an. Es entstand eine richtige kleine Bibliothek. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie dieses erste spiralgebundene Buch aussah mit dem laminierten Cover. Wie sich das anfühlte zu wissen: Ich kann Geschichten nicht nur verschlingen, ich kann auch welche schreiben.

Welche Autoren bewunderst Du?
So viele! Tolstoi, Dostojewskij, George Eliot, Dickens, Balzac, Proust, Joyce, Mann, Kafka, Svevo, Melville, James, Wharton, Faulkner, Woolf, Gertrude Stein, Bellow, Ellison, DeLillo, Wallace. Das sind wahrscheinlich meine tip-top-Favoriten. Unter den Autoren von heute: Deborah Eisenberg, Norman Rush, Jonathan Franzen, Zadie Smith, Bolaño, Javier Marías, Péter Nádas, László Krasznahorkai, Patrick Chamoiseau. Und von den deutschen Autoren, die ich in Übersetzung gelesen habe, mag ich Musil, Broch und Döblin. Ich liebe Robert Walsers ›Jakob von Gunten‹. Wenn wir jetzt noch von Lyrikern anfangen oder Philosophen und Essayisten…

Was machst Du eigentlich in Deiner freien Zeit, jetzt, wo Dein Roman veröffentlicht ist?
Ich schreibe natürlich weiter, immer morgens, jeden Tag ein paar Stunden. Ich fange vor Sonnenaufgang an. Und ich habe zwei kleine Söhne, die 5 und 3 Jahre alt sind, und um die beiden kümmere ich mich nachmittags und abends.
Jetzt, wo der Roman veröffentlicht ist, muss ich nicht mehr nebenbei unterrichten und Literaturkritiken schreiben, wie ich das die letzten sieben Jahre über gemacht habe, wärend ›City on Fire‹ entstand. Ich kann mir jetzt erlauben, auch mal eine Stunde mit dem Fahrrad rumzufahren oder Joggen zu gehen oder mir Kunst anzusehen, bevor ich die Jungs abhole. In der City herumzulaufen, Musik zu hören, tagzuträumen, in ein Buch reinzuschauen – so ziemlich der ideale Nachmittag. Gibt es im Französischen nicht das Wort »flânerie« oder so ähnlich? Auch wenn mir meine Frau das vielleicht nicht glaubt: Wenn ich flaniere, kriege ich beim Schreiben immer am meisten hin.

Garth Risk Hallberg

Garth Risk Hallberg

Garth Risk Hallberg, geboren 1978, lebt mit seiner Familie in Brooklyn. Er zählt zu den »Best New American Voices«, seine Erzählungen und Essays sind in zahlreichen Magazinen und Zeitungen erschienen. Sein Buch ›Ein Naturführer der amerikanischen Familie‹ (2007) war für den Believer Book Award nominiert. ›City on Fire‹ ist sein erster Roman und erschien in 18 Ländern. Hallberg schreibt am liebsten in den frühen Morgenstunden.