Interviews

Gespräch mit Reinhard Kaiser-Mühlecker zu seinem Roman »Wilderer«

Familie ist Gemeinschaft. Lebensgemeinschaft, Arbeitsgemeinschaft und Schicksalsgemeinschaft. Individualismus kann darin nur begrenzt existieren. Von der Verlorenheit innerhalb der Familie und der Frage nach der Wertigkeit der eigenen Existenz erzählt Reinhard Kaiser-Mühleckers neuer Roman »Wilderer«. In diesem Interview erschließt er überraschende Parallelen und stellt sich der Frage nach Herkunft und Familie als Konstrukt.

Der Autor Reinhard Kaiser-Mühlecker sitz in dunklem Hemd auf einem Sofa.
© Jürgen Bauer
Wie würden Sie Ihre Hauptfigur Jakob und seine Entwicklung (oder eben die Unmöglichkeit einer solchen) beschreiben? 

Jakob fühlt sich von früh an für den landwirtschaftlichen Betrieb seiner Vorfahren verantwortlich und hat wenig Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die viele Arbeit lässt zudem keine Zeit, um etwas wie ein Sozialleben zu entwickeln. So wird er schon früh ein ziemlicher Eigenbrötler, der sich nur auf sich selbst verlässt. Mit der Künstlerin Katja kommt Licht in sein Leben, aber letztlich ändert auch diese Begegnung nichts an Jakobs sehr eigenwilligem, ungespiegeltem Blick auf die Dinge und auf sich selbst.

 

Was bedeutet Familie in einem Leben auf dem Land?

In bäuerlichen Familienbetrieben gibt es keine klare Trennlinie zwischen Privatem und Beruflichem. In einem fort überschneiden sich die Bereiche, vermischen sich. Die Menschen stehen nicht nur in einem Verwandtschafts-, sondern auch ein einem Arbeitsverhältnis. Im Zentrum steht in der Regel bei allen Konflikten immer der Betrieb und die Sorge um seinen Fortbestand. Das macht diese Art der Familie zu einer Art Schicksalsgemeinschaft. 

 

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Natur beschreiben? 

Ich habe viel Zeit meines Erwachsenenlebens in Städten in unterschiedlichen Ländern verbracht, und da hat mir die Natur im Alltag sehr gefehlt. Im Schreiben habe ich die Landschaft meiner Kindheit und Jugend aber nie verlassen und war insofern immer in Verbindung damit, und seit ein paar Jahren lebe ich wieder dort und betreibe die Landwirtschaft, die ich von meinen Eltern übernommen habe. Natur, Wetter, Landschaft, das sind für mich Protagonisten, die denen aus Fleisch und Blut an Bedeutung in nichts nachstehen. 

 

Was bedeutet Herkunft in »Wilderer«? 

Im Buch, das Jakob im Zentrum hat, bedeutet es Prägung, Imprägnierung. Etwas, das der Mensch verbergen könnte, oder auch überwinden Jakobs Geschwister Alexander und Luisa gehen andere Wege, für sie scheint der Herkunftsort nicht viel mehr zu sein als ein Punkt auf der Landkarte, der überall liegen könnte , dem man sich aber stellen muss.

 

Welche Rolle spielt Gewalt in Ihrem neuen Buch?

Vor allem spielt eine Rolle, was man unter Gewalt versteht. Dem einen erscheint es etwa als gewalttätig und grausam, eine wildernden Hund von eigener Hand zu töten, was dem anderen bloß als notwendig oder unausweichlich erscheint. 

 

Was meinen Sie damit, dass Sie Ihre Welt Ihren Leser*innen erfahrbar machen möchten?

Wenn ich durch mir unbekannte oder wenig bekannte Gegenden reise, habe ich den Wunsch, jemand möge mir von dieser Gegend und ihren Menschen erzählen. Ich wünsche mir eine Stimme, die aus diesem bestimmten Raum zu mir spricht. Und als Schriftsteller möchte ich selbst so eine Stimme sein, etwas Körperloses, Namenloses, Ichloses, das anderen etwas zeigt, das sie nicht kennen können, zumindest nicht so wie ich es kenne.

Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte in Wien und betreibt eine Landwirtschaft. »Ich sehe es als eine Art Verpflichtung an, die Welt, die ich kenne, erfahrbar zu machen – einem, der sie nicht kennt.« Sein Debütroman »Der lange ...

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»Wilderer« erzählt von Herkunft und existentieller Verlorenheit

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