Interviews

»Die Rechtsextremisten haben dazugelernt«

Der Report »Recht gegen rechts« verfolgt, wie Politik und Justiz der wachsenden Gefahr von rechts entgegentreten. Mehr als 30 prominente Autorinnen und Autoren beschreiben die wichtigsten Fälle aus dem vergangenen Jahr. Im Interview erzählt Ronen Steinke, Mitherausgeber des Bandes, Redakteur der Süddeutschen Zeitung und promovierter Jurist, von der Bedrohung unserer Gesellschaft durch den Rechtsextremismus und der Aufgabe der Justiz, darauf zu reagieren.

Ein rasierter Mann mit kurzen Haaren im Anzug schaut vor einem dunklen Hintergrund in die Kamera
© Peter von Felbert
Herr Steinke, der Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung unserer Gesellschaft. Aber sind Paragraphen wirklich ein geeignetes Gegenmittel? 

Die beunruhigendste Entwicklung der vergangenen Jahre ist: Die Rechtsextremisten haben dazugelernt. Sie sind viel geschickter geworden. Sie marschieren und grölen nicht nur. Sie machen sich auch die Instrumente des Parlamentarismus zunutze. Das funktioniert leider. Es macht sie so erfolgreich wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. 

 

Das heißt, Rechtsextreme nutzen die Möglichkeiten, die das Grundgesetz bietet? 

Ich würde sagen: Sie testen die Grenzen aus. Und sie verschieben die Grenzen. Bei Protesten der sogenannten »Querdenker«-Bewegung sehen wir jede erdenkliche Variante von Verschwörungsmythen, Antisemitismus und Rassismus. Aber bei einigen Akteuren auch eine große Vorsicht, immer auf der juristischen Grenze zu tänzeln. Mit Erfolg. Das liegt auch an einer Justiz, die noch zu wenig wachsam ist. 

 

Ein Beispiel? 

Wenn ein bekannter Neonazi aus Sachsen-Anhalt in seinem Online-Shop das Motiv eines »Judensterns« verbreitet, auf dem das Wort »Ungeimpft« steht, dann bräuchte es eigentlich eine Justiz, die ihm entgegentritt und sagt: Das ist eine Verharmlosung des Holocaust. Das ist nicht nur widerwärtig, es ist auch als Volksverhetzung strafbar. 

 

Geschieht das nicht? 

Es geschieht viel zu wenig. So wurde in Sachsen-Anhalt lange abgewiegelt. Die Staatsanwaltschaft hat mit den Achseln gezuckt und gesagt: Meinungsfreiheit. Das heißt für uns: Es sind nicht nur Straßenkämpfe, in denen sich die Demokratie behaupten muss. Es sind auch juristische Diskussionen. Sie werden immer wichtiger. 

 

In dem Report „Recht gegen Rechts“ dokumentieren Sie und Ihre Ko-Autorinnen und -Autoren, wie sich die Justiz in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen, Rassisten, Homophoben schlägt. 

Wir dokumentieren seit 2020 jedes Jahr die vierzig oder fünfzig wichtigsten Gerichtsentscheidungen auf diesem Gebiet. Aktuell schreiben etwa der ARD-Journalist Georg Restle und der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler für uns – und zwei Ex-Justizministerinnen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Katarina Barley. Wir meinen: Das ist von höchstem öffentlichem Interesse. Die Justiz ist unabhängig. Aber es muss uns allen in der Gesellschaft ein Anliegen sein zu sehen, ob die Verteidigung unserer Demokratie derzeit in guten Händen ist. 

 

Das klingt so, als würden Sie vor allem ein Versagen dokumentieren? 

Wenn das neurechte »Institut für Staatspolitik« in Deutschland als gemeinnützig gilt und deshalb steuerlich begünstigt wird, die antifaschistische »Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes« aber nicht, dann habe ich damit ein Problem.  

 

Das ist so? 

Da gibt es Entscheidungen der Finanzgerichte, die sperrig und kompliziert sind und deshalb wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Aber genau hier müssen wir akribisch hinsehen. Und das ist unser Ansatz. Wir lenken den Scheinwerfer auf diese Entwicklungen – und zwar so, dass auch Leserinnen und Leser ohne juristische Vorkenntnisse mitdiskutieren können. 

 

Das fällt auf an Ihrem Report: die Verständlichkeit. Kein Paragrafenkauderwelsch, sondern griffige, klare Kommentare. 

Der juristische Diskurs in Deutschland ist oft unzugänglich und elitär. Das ist ein Problem, denn der Inhalt geht alle an. Es braucht eine viel breitere gesellschaftliche Debatte. Deshalb bemühen sich unsere Autorinnen und Autoren, die Themen so zu erklären, dass sie zugänglich werden. Schwierig schreiben kann jeder. Einfacher schreiben ist eine Kunst. 

 

Geht es Ihnen vor allem um Straftaten wie Volksverhetzung? 

Es gab wichtige Strafprozesse in den vergangenen Monaten, gegen den Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke zum Beispiel, oder gegen den Attentäter auf die Synagoge in Halle. Das sind Urteile, die wir kritisch unter die Lupe nehmen. Auch zum Beispiel den Fall des Thüringer Ballstädt-Prozesses, in dem die Justiz mit den Beschuldigten einen Deal schloss. Aber es gibt noch viel mehr als das. Das Thema Racial Profiling bei der Polizei beschäftigt Juristinnen und Juristen immer wieder. Ein Beitrag in unserem Report beschäftigt sich jetzt aber auch mit Racial Profiling in einem Standesamt in Bremen. Ein weiterer mit einem Arbeitsrechtsprozess bei BMW, wo der Konzern einen Mitarbeiter gefeuert hat, nur weil der gegen Rassismus im Kollegenkreis den Mund aufmachte. 

 

Sind es nur Probleme, die Sie dokumentieren - oder gibt es auch Lösungen? 

Unser Anspruch ist, auch nach positiven Beispielen in der Justiz zu suchen. Also: Wie kann der Widerstand gegen Rassismus und Neonazismus stärker werden? Es gibt immer wieder couragierte Richterinnen und Richter, die gegen den Strom schwimmen oder mutig vorangehen. Auch das braucht unsere Aufmerksamkeit. Das sind Beispiele, die sich zur Nachahmung empfehlen.

Ronen Steinke, geb. 1983, ist Jurist, Autor und Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Zuletzt erschien im Berlin Verlag sein Buch »Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz«.

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Der jährliche Bericht über rechtsextreme Tendenzen im Recht

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