Du bist jetzt also beim Film?
Ich würde es eher umgekehrt sagen: Der Film ist jetzt bei mir. Die Kamera hat sich sozusagen von hinten angeschlichen und mich dann frontal von vorne erwischt. Begonnen hat das ganze vor knapp zwei Jahren, als der Regisseur, Thomas Henke, zusammen mit Oliver Held (Kamera) und Udo Radek (Ton) auf mich zukam und mich fragte, ob wir nicht ein längeres Gespräch führen wollten, weniger über Hoppes Leben und Werk als über Felicitas Hoppe, wie sie die Welt und die Kunst sieht.
Ich war neugierig, hatte Lust, Neues auszuprobieren, zu resümieren, meinen Gedanken eine andere Form zu geben (oder geben zu lassen) und habe dann, ziemlich ahnungslos und naiv, einfach spontan zugesagt, ohne darüber nachzudenken, was am Ende dabei herauskommen würde. (Ich gehe ja, wie du weißt, so gut wie nie ins Kino, Filme gucke ich nur im Flugzeug.)
Wie habt ihr gearbeitet?
Mit der Idee einer offenen Installation. Ohne Drehbuch, Netz und doppelten Boden. Wir haben uns in der Schweiz getroffen, in meiner Walliser Einsiedelei, und einfach angefangen zu arbeiten, Gespräche zu führen (stundenlang!), in der Gegend herumzufahren, Motive und Kulissen zu suchen, was ja nicht weiter schwer ist im illustren Land der Viertausender. Daraus sind zum Teil hoch aufgeladene Bilder entstanden, die meine (freie) Rede nicht illustrieren, sondern manchmal ziemlich suggestiv flankieren.
Die Arbeit war extrem intensiv, sehr anregend, sehr anstrengend und gelegentlich auch konfliktgeladen. Konflikte allerdings, die sich als produktiv erwiesen. Meine Aufgabe bestand schlicht und einfach darin, präsent zu sein, Rede und Antwort zu stehen, Protagonistin und (mündliche) Autorin zugleich zu sein; vor allem aber darin, keine Angst davor zu haben, dabei womöglich eine lächerliche Figur abzugeben. (Ich bin halt, jetzt ist es endlich erwiesen, keine gute Schauspielerin.)
Hast du jetzt den Eindruck, dass dieser Film ein Film über Felicitas Hoppe ist, einer, der der Autorin Hoppe (soweit das überhaupt möglich ist) gerecht wird, oder dass er eher eine Persona erfindet, dir eine Rolle andichtet (die du dir ja gewissermaßen selbst andichtest, denn du schaffst ja den – nennen wir es mal – Inhalt. Henke/Held sind ja eher für die Form zuständig), und also auf andere Art als dein Roman ›Hoppe‹ ein Leben erfindet, das nach dir benannt ist und dir ganz offensichtlich ja auch ähnelt. Oder ist es etwa (was ich ja heimlich annehme) etwas drittes, ganz anderes?
Das ist kompliziert und einfach zugleich. Erstens: Kein Film, kein Buch wird einem Menschen »gerecht« (Kunst kennt keine Gerechtigkeit!). ›Felicitas Hoppe sagt‹ ist kein klassischer Autorenfilm, weder mein (biographisches) Leben noch mein Werk werden darin besonders thematisiert oder dokumentiert. Er ist also weniger ein Porträt, als ein Gesprächs- und Gedankenfilm. (Wenn man’s genau nimmt, eine Zumutung im Wortsinn.) Es geht um Momentaufnahmen, um Ausschnitte, um Fragmente in Bild und Ton. (Manches von dem, was Felicitas Hoppe sagt, würde ich heute schon wieder ganz anders sagen.)
Doch ändert das alles – zweitens – nichts daran, dass der Film selbstverständlich eine Persona erfindet, indem er der Autorin eine hochstilisierte Maske aufsetzt, die allerdings, wie alle Masken, immer wieder auch ihr wahres Gesicht zeigt (falls es »wahre Gesichter« geben könnte). Das macht den Film, auf eine für mich selbst überraschende Weise, zum perfekten Komplementärwerk von ›Hoppe‹.
In anderen Worten: Wer sich in ›Hoppe‹ um die »wahre Hoppe« betrogen fühlt, sollte sich ›Felicitas Hoppe sagt‹ anschauen?
Exakt – da gibt’s nämlich keine dritte Person mehr, sondern nur noch Hoppe in der ersten Person, eine Autorin, die sich (scheinbar) zeigt, wie sie ist, weil sie »ich« sagt. Was natürlich nichts daran ändert, dass auch ›Felicitas Hoppe‹ eine Kunstfigur ist (Kunst kennt keine Authentizität!). Mithin ist der Film drittens (du hast es natürlich geahnt!) ganz nebenbei auch ein Selbstporträt der Filmemacher geworden.
Also Selbstbiographie durch die Spiegelung in einer anderen Biographie?
Ja, so in etwa. Jedes Interview ist nicht nur ein Hinweis auf den, der die Antworten gibt, sondern vielmehr ein Hinweis auf den, der die Fragen stellt.
Im Film werden allerdings keine Fragen gestellt, er ist, wie auch andere Filme von Thomas Henke, ein »Film der Antworten«.
Das stimmt. Doch es gibt keine Antworten ohne Fragen, hinter jeder Antwort taucht der Fragende selbst auf, wenn auch nur als Phantom, selbst dann, wenn er nicht hör- oder sichtbar ist.
Ist das nicht ein bisschen unheimlich für eine Autorin, die (wie ich als dein Lektor sehr genau weiß) seit jeher auf Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstkontrolle aus ist?
Das ist sogar sehr unheimlich. Da hilft nur reines Vertrauens, mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Man begibt sich in einen Raum, den man tatsächlich nicht mehr kontrollieren kann. Das war für mich von Anfang an klar, nicht zuletzt deshalb, weil ich nach 20 Jahren freier Autorinnenschaft sehr genau weiß, was es bedeutet, sich in die mediale Welt der spontanen Äußerungen und der verfänglichen Bilder zu begeben. Bilder, damit sage ich ja nichts Neues, sind hoch manipulativ, der reine Text ist dagegen viel differenzierter.
Apropos Text: Hast du deine Äußerungen für den Film nachträglich redigiert?
Nein. Ich habe nichts redigiert, nichts zurückgenommen. Aber nicht, weil ich so vertrauensvoll bin, sondern weil ich mich, angesichts eines Gesprächsmaterials von fast 30 Stunden, davon überfordert gefühlt hätte. Wenn eine so viel redet wie ich, muss sie einfach die Flucht nach vorne antreten und sich in fremde Hände begeben. Aber davor hatte ich keine Angst: Henke und Held sind grandiose Schnitter, vor denen ich jederzeit meinen Hut ziehen würde, selbst dann, wenn ich nicht einverstanden bin. Was mich am Ergebnis, jenseits der Bilder, am meisten beeindruckt, ist ihre wild entschlossene Textregie.
Darf ich mir, als dein Lektor, beim nächsten Buch eine Scheibe von dieser Entschlossenheit abschneiden?
Unbedingt. Mein neues Buch, das übrigens zwischen den Dreharbeiten entstand, die sich zwischen Leuk im Wallis, Berlin und einer GRAND TOUR durch die USA über einen ziemlich langen Zeitraum hingezogen haben, droht nämlich inzwischen ein bisschen auszuufern, da ist die helfende Hand eines lektorierenden Schnitters jederzeit erwünscht. Nicht zuletzt deshalb, weil der Titel des Buches PRAWDA lautet.
Ich nehme dich und deine Wahrheit beim Wort!
›Felicitas Hoppe sagt‹ ist ein 80-minütiger Film von Oliver Held und Thomas Henke mit Felicitas Hoppe und Gundula Gause. Produktion: Ulrike Rainer
Film-Premiere im Sprengel Museum Hannover am 17. März 2017, um 18:30 Uhr
Das Interview führte Oliver Vogel