Anna ist eine außergewöhnliche und unwiderstehliche Heldin. Was hat Sie zu dieser Persönlichkeit inspiriert?
Während des Schreibens versuche ich, in mein Unterbewusstsein abzutauchen, im Idealfall kommen dann vollständig ausgestaltete und bereits mit Namen versehene Figuren zum Vorschein. Ich fühle mich weniger in der Position, sie zu erschaffen, vielmehr »erkenne« ich sie, schlüpfe in sie und versuche, ihre Widersprüche (ein wesentlicher Bestandteil jeder Person) zu entdecken, ihre Sprechweisen, ihre Wesenszüge. Das Wichtigste, was ich über Anna herausfinden musste, war ihre Verschwiegenheit – ein wichtiges Merkmal ihrer Stärke. Sie ist viel wagemutiger als ich es bin, und weniger anfällig für Schuldgefühle. Das war hilfreich, um ihre Persönlichkeit von meiner zu trennen. Ich tendiere dazu, schlechter zu schreiben, wenn ich von mir selbst oder jemanden wie mich erzähle, daher ist es mir immer wichtig, den Unterschied zwischen meinen Figuren und mir zu erkennen.
Wieso wählten Sie ausgerechnet Manhattan Beach als Dexter Styles’ Wohnsitz?
Nun, das war ein lustiger Zufall. Ich schrieb den Prolog ohne wirklich zu wissen, wo er spielen sollte. Ich wusste, dass es einmal sehr noble und schöne Häuser auf Coney Island gegeben hat. Daher habe ich irgendwie in meinem Kopf einen Ort entlang der Küste erfunden. Aber ich war nicht sicher, dass dieser Ort real war, als ich die Szene schrieb. Und als ich das Kapitel zu einem Autorentreffen mitbrachte, sagte jemand: »Oh, du schreibst über Manhattan Beach, da, wo es diese schönen Villen gibt.« Nun muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich bis dato nie von diesem Ort gehört hatte. Das einzige Manhattan Beach, das ich kannte, lag in Kalifornien. Als ich dann mehr über Manhattan Beach las, war es fast unheimlich, wie perfekt es für das Setting war, das ich zum Leben erwecken wollte. Nicht nur, weil der Ort ziemlich abgelegen war – man kann ihn nur schwer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen –, aber auch wegen seiner Geschichte und den alten, wunderschönen Ressorts, die es dort einmal gab: das Manhattan Beach Hotel und The Oriental. Später wurden sie abgerissen und durch Ferienhäuser und Bungalows ersetzt. Die ganze Gegend von Manhattan Beach wurde dann von der Küstenwache und der Handelsmarine übernommen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Teresa Pütz, Lektorin für Internationale Literatur bei S. Fischer