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Zum 80. Todestag von Sophie und Hans Scholl

Wegen ihres Engagements in der Widerstandsgruppe »Die Weiße Rose« wurden Sophie und Hans Scholl am 22. Februar 1943 in München hingerichtet. Die Auszüge aus Sophie Scholls Briefwechsel mit Fritz Hartnagel skizzieren ihrer beider Gemütszustände rund um den Todestag. Drei Tage nach dem Tod ihrer Kinder schreibt Magdalene Scholl, genannt Lina, einen berührenden Brief an Fritz Hartnagel.

M.[ünchen], 16. 2. 43.

Mein lieber Fritz! 

Gestern habe ich einen wunderbaren blühenden Stock gekauft, er steht vor mir auf dem Schreibtisch am hellen Fenster, seine graziösen Ranken, über und über mit zarten lila Blüten besetzt, schweben vor und über mir. Er ist meinen Augen und meinem Herzen eine rechte Freude, und ich wünschte mir nur, daß Du kommst, bevor er verblüht ist. Wann wirst Du nur kommen?
Meine ersten Briefe werden Dich wohl kaum erreichen, sie waren falsch adressiert. Und ob diese dürftige Adresse genügt? Doch muß ich ja warten, bis Du zuerst mir schreibst.
Wir haben hier eine kleine Geyerausstellung hergerichtet. Wir sind sehr oft mit ihm zusammen, man fühlt sich in seiner Nähe riesig behaglich. Wie schade, daß ich Dir davon schreiben muß, daß Du nicht selbst hier bist. Vielleicht können wir bald zusammen irgendwo anfangen! 

Sei für heute vielmals gegrüßt von Deiner Sophie. 

Wilhelm Geyer, ein Kunstmaler aus Ulm, war schon im Januar nach München gekommen, um Carl Muth zu porträtieren. Der Kontakt war durch Hans Scholl hergestellt worden. Die Ausstellung von Bildern Geyers, der schon lange Ausstellungsverbot hatte, fand im Atelier Eickemeyer statt. Dieser Brief dürfte der letzte sein, den Sophie Scholl an Fritz Hartnagel geschrieben hat, auch wenn die Reihenfolge der beiden vom 16. Februar 1943 datierten Briefe nicht mit Sicherheit festzustellen ist. Zwei Tage später, am 18. Februar, einem Donnerstag, wurde Sophie Scholl zusammen mit ihrem Bruder Hans in der Münchener Universität verhaftet, als sie ein von Professor Kurt Huber verfasstes Flugblatt, das auf die Niederlage der sechsten deutschen Armee in Stalingrad reagierte (»Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad«), in der Münchener Universität verteilten. Auch Christoph Probst wurde kurz danach in Innsbruck verhaftet und nach München gebracht. Bereits vier Tage später, am 22. Februar 1943, fand der Prozess vor einer eigens aus Berlin angereisten Kammer des Volksgerichtshofs unter Vorsitz von Roland Freisler statt. Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst wurden wegen Hochverrats und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt und noch am selben Tag um 17 Uhr mit dem Fallbeil hingerichtet. 

22. 2. 43. [aus dem Lazarett in Lemberg] 

Meine liebe Sofie! 

Ich danke Dir sehr, daß Du mir so fleißig schreibst, trotzdem Du anscheinend immer noch keine Post von mir erhalten hast. Du tust mir so viel Gutes damit. Wieder hat mich heute ein Gruß erreicht, von dem mir als Erstes einige zarte, lilarote Blütenblätter in den Schoß fielen. Und wie ich dann Deinen Brief in Händen halte, und dazu die Sonne schon ganz warm durchs Fenster hereinstrahlt, muß da nicht der Frühling bei mir einkehren? Oder zumindest eine Vorahnung und eine starke Hoffnung auf seine Nähe? Und wenn ich nicht zu früh oder ohne jeden Urlaub wieder an die Front geschickt werde, dann werden wir ihn sogar gemeinsam erleben dürfen. Diese Vorfreude rankt um mich und macht mich frohen Herzens, wie Dein üppig blühender Blumenstock, der Dich entzückt.
Aber vorläufig mußt Du mir schon noch etwas von Deiner Umgebung erzählen, von der ich ja bis jetzt noch gar nichts weiß. Z. B. ob Hans noch bei Dir in München ist und wer sonst noch in Deiner Nähe ist.
Ich verbringe viele Stunden des Tages bei Dir. Nimm dies als ein kleines Zeichen dafür. 

Herzlichst Dein Fritz. 

Diesen Brief schrieb Fritz Hartnagel am Tage der Hinrichtung von Sophie Scholl. Die lilaroten Blütenblätter stammten von dem »blühenden Stock«, von dem Sophie Scholl in ihrem letzten Brief an Fritz Hartnagel schreibt. 

Ulm, den 25. 2. 43 

Lieber Herr Hartnagel! 

Es ist nun doch alles gekommen, wie es kommen mußte. Gestern vor Sonnenuntergang haben wir unsere zwei Kinder zur Ruhe gebracht. Sie ruhen in einem Grab im Perlacher Forst oben ganz in der Nähe des Waldes. Das Grab haben wir gekauft. Wir sind dankbar, daß alles so rasch ging und sie so bald ihre Ruhe fanden. Gleich nach der Stärkung des hl. Abendmahls schon – es läßt sich manches nicht niederschreiben. Sofie konnte gerade noch Ihren zweitletzten Brief lesen, den wir ihr brachten. Hoffentlich bekommen Sie ihren Brief, den sie Ihnen noch schrieb. Wir denken jetzt so viel an Sie und sprechen von Ihnen. In welch tausend faches Leid sind Sie jetzt geworfen worden. Doch wollen wir uns von Sofie nicht beschämen lassen. Der Seelsorger sagte, so etwas von Tapferkeit sei ihm bis zuletzt noch nie vorgekommen. Wir wollen uns beugen vor dieser Heimsuchung, die unsagbar scheint. Die ganze Schwere können wir heute noch nicht ermessen und das ist gut. Denn es werden Stunden kommen, wo einen das Heimweh und der Schmerz umwerfen wollen. Es gibt wohl wenig Familien, wo die Liebe zueinander und das Sich-verstehen wollen so im Vordergrund stand, namentlich bei den fünf Geschwistern. Und wir merken, warum die beiden, besonders Hans, geistig immer höher stiegen und nicht genug bekommen konnten. So viel, viel Schönes und Edles sahen, lasen und sprachen sie miteinander und wie empfänglich waren sie für die Schönheit und Größe der Natur, besonders der Berge. Das haben Sie ja alles schon selbst miterlebt. Sofie hat als Letztes noch Lisel modelliert, sie wurde nicht ganz fertig und sagte: »ich mache es nächsten Samstag-Sonntag«. Da können sie aber schon nicht mehr kommen. 

Lieber Herr Hartnagel, es ist uns so bange um Sie, bis Sie dies alles erfahren haben. Es ist neben dem großen Schmerz um unsre beiden der nächste. Wenn Sie nur bald heimkommen dürfen, daß wir mündlich einander trösten können. Besonders Lisel wird Ihnen manches erzählen, die kurz vorher längere Zeit dort war und wo sie viel von Ihnen sprachen. Nun haben Sie sich gefreut nach dieser langen und schweren Trennungszeit, wo Sie wie ein Wunder aus dem Feuer gerettet wurden. Und jetzt ist es so undurchdringlich Nacht um Sie her. Aber, immer steht eine lichte Gestalt, die nun bei Gott ist. Ich sagte in den letzten Minuten, als ich ihrem lächelnden Gesicht ganz nahe war: Aber gelt, Jesus, da sagte sie überzeugend: Ja, aber Du auch. Wir sind so dankbar, daß Werner bei uns ist. Wie hätten wir ihm auch diese Botschaft beibringen können. Sie werden von Sofie allmählich die Briefe bekommen, Lisel sagte, in München habe sie jeden Tag geschrieben. 

Ich will nun schließen. Mein lb. Mann, Inge, Lisel und Werner senden Ihnen herzliche Grüße besonders 

Ihre L. Scholl 

Sophie Scholl, 1921 in Frochtenberg/Württemberg geboren, Studentin der Biologie und Philosophie in München, Mitglied der Widerstandsgruppe »Die Weisse Rose«. Sie wurde im Februar 1943 von den Nationalsozialisten verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

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