...in Schnelligkeit flirrt Heiterkeit allzeitbereit für ein wenig Scheiternkeit und Reitbarkeit... Kein Bedenken. Kein Verrenken. Wie ein Kind die Zügel schwenken und dem Spaß ein Zwinkern schenken... Wind im Haar... Luft im Bauch... sie trägt Frohsinn auch, und es gelingt vielleicht ein Zeitvertreib, der ein Weilchen bleibt...
...an dem Speedbag – an der Boxbirne. Der Trainer Goldsmith schlendert vorbei. Goldsmith. Goldschmied. Sein Vorname ist Goldschmied. Er sagt nie Hallo und nie auf Wiedersehen. Manchmal bleibt er hinter mir stehen und sagt mir, was ich falsch mache. Es war Labor Day weekend, als ich am Speedbag zu trainieren begann. Labor Day weekend, das verlängerte Wochenende, das Anfang September den Sommer verabschiedet und das neue Schuljahr begrüßt. Alle Leute waren am Strand, auf Dachterrassen, in Gärten am Grillen. Ich blieb allein im Keller eines gottverlassenen Gyms vor der Boxbirne. Stundenlang. Den Schlagrhythmus übend. Es sieht leicht aus, wenn Boxer vor ihren Wettkämpfen mit der Boxbirne dribbeln... mit schnellen Fäusten... kinderleicht... wer es mal gemacht hat, weiß, man braucht Wochen, Monate, um den wild umherspringenden Schlagsack zu dressieren.
Goldschmied flaniert. Er geht nicht, er läuft nicht, er schlendert. Er sagt: »Du wirst besser. Jetzt musst du auch schnell werden. Man nennt es nicht umsonst den Speedbag, den Schnellsack, weißt du?«
Ich seufze und blicke beschämt zu Boden.
»Du beeilst dich zu sehr«, er schlägt gelassen ein Paar schnelle Sekunden und der Speedbag läuft gehorsam im Galopp. »Guck mal, ganz ruhig. Hetz den Schnellsack nicht.«
Er schlendert fort. Ich bleibe allein, übe und übe und übe. Langsam fängt der Speedbag unter meinen Fäusten zu traben an, langsam immer schneller. Goldschmied hat gesagt: »Hetz den Schnellsack nicht«.
...ich besuche die von mir verehrte Schriftstellerin Marie-Luise Scherer. Wir gehen auf dem Deich spazieren. Der Wind bläst und ihre Hunde jauchzen. »Das Schreiben«, sagt sie, »ist der ungeschützteste Beruf, den es gibt. Jeden Tag musst du gegen Widerstände ankämpfen, innere wie äußere. Und dann, wenn endlich Ruhe, wenn endlich Zeit vor dir liegt, beginnt die elende Suche nach den Wörtern, die richtig sitzen. Jedes Wort muss sitzen wie ein Schuss.«
Marie-Luise Scherer sucht seit einer Woche nach einem Wort, das den Geruch von Mottenkugeln beschreibt. Und auf einmal... ganz plötzlich... ganz unerwartet... ganz schnell... schießt es ihr in den Kopf: »Grämlich«. Mottenkugeln riechen grämlich.
...es gilt das Tempo eines Textes zu finden. Auch das Tempo einer Figur... Goethe fragte Schiller, wie er im Faust den Pudel auftreten lassen soll. Goethe tat sich schwer mit Anfängen. Faust hat vier Anfangsszenen. Die Zueignung. Das Vorspiel auf dem Theater. Den Prolog im Himmel. Und schließlich die Nacht im Zimmer und Fausts Monolog... da steh ich nun, ich armer Tor. Goethe wollte, dass Mephisto als Pudel verwandelt auftritt. Aber wie, aber wo, aber wann?
Schiller hat Goethe geantwortet: »Lass ihn einfach auftreten.«
...in der Umkleidekabine nach dem Sportunterricht. 3te Klasse. Ich war nie gut im Sport. Nicht weil ich unsportlich bin. Ganz im Gegenteil. Aber ich dachte immer, ich bin nicht gut, ich kann das nicht. Die Lehrer sagen einem nicht, versuch es mal, oder »du kannst es lernen.« Dass man lernen kann, bringt einem in der Schule niemand bei. Es gibt die Kinder, die alles können, Handstand, Radschlagen, Flickflack sogar, und dann solche wie mich: Unbeliebte Brillenträger. Ich trug auch noch eine Lederjacke. »Igitt! Tierhaut«. Die Sportlehrer hatten die üble Gewohnheit, zwei Kinder als Anführer zu benennen, die ihre Mannschaften selbst zusammenstellten. Ich war immer die, die übrig blieb, immer die, die keiner wollte, die, die der Lehrer einer Mannschaft zuteilte, deren Kinder dann laut aufstöhnten.
Nach einem Völkerballspiel in der Umkleidekabine. Die Mädchen lästern. »Wegen der haben wir verloren. Sie hat nicht einmal getroffen«, flüstert die beliebte Wiebke. Ich werfe ihr meine zusammengerollten Socken an den Kopf. Treffe.
»Du warst so langsam wie ne alte Oma«, sagt sie zu mir.
»Weil ich hier nicht schnell sein muss«, kontere ich, »in Todesgefahr wäre ich schneller als ein Rennpferd«.
Oh. Plärren die Mädchen. Das stimmt nicht! Das geht gar nicht! Marie lügt!
Ich sitze mit meiner Brille, meiner Lederjacke und meinen sieben Jahren ohne Socken auf der Bank und beharre: »In Todesgefahr wäre ich schneller als ein Rennpferd«.
...Calvino zitiert Galilei: »Wenn das Reden über ein schwieriges Problem wie das Tragen von Gewichten wäre, bei dem viele Pferde mehr Kornsäcke tragen als eines allein, so würde ich zustimmen, dass viele Reden mehr brächten als eine allein; aber das Reden ist wie das Rennen und nicht wie das Tragen, und ein Rennpferd allein läuft schneller als hundert Friesenpferde.«