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Die Fragen der Kinder im Krieg

Unser Autor Eliyah Havemann lebt mit seiner Familie in Ra’anana, einer kleinen Stadt nördlich von Tel Aviv. Hier erzählt er, wie sie die Raketenangriffe auf Israel erleben – und welche Fragen die Kinder haben.

Porträt des Autors Eliyah Havemann
© Michal Sela

Seit drei Tagen bleiben die Sirenen bei uns still. Meine Frau Jenny, unsere drei Kinder im Alter von 9, 6 und 2 Jahren und ich leben in Ra‘anana, eine kleine Stadt nördlich von Tel Aviv. Unsere Wohnung befindet sich in einem relativ neuen Haus und hat daher ein eigenes Bunkerzimmer. Das ist ein Raum, der mit besonders dicken Betonwänden ummantelt ist, eine Stahltür mit mehreren massiven Riegeln auf beiden Seiten hat und dessen kleines Fenster über dicke, stählerne Fensterläden verfügt. Das Zimmer ist auf der Nordseite des Hauses, da die Raketen üblicherweise aus dem Süden kommen.
Als im Süden des Landes nach den Ausschreitungen in Jerusalem immer mehr Raketen einschlugen, habe ich die Läden überprüft. Sie haben etwas geklemmt und ich musste sie mit Werkzeug lösen. Während ich sie gelöst habe, sagte ich mir: »Nur zur Sicherheit, hier in Ra‘anana wird schon nichts passieren. Wir sind weit weg.« Einen Tag später gingen die Sirenen los.
Es war nicht unser erster Krieg, seit wir 2010 nach Israel eingewandert sind. Auch 2014 erlebten wir Sirenen in unserer Wohnung in Jerusalem. Das Haus war älter und hatte nur einen Luftschutzkeller. Wir waren gerade frisch eingezogen und unser erster Sohn war ein Baby von 2 Jahren. Spät abends ertönte die erste Sirene. Wir rissen unseren Sohn aus seinem Bett und rannten mit ihm im Arm halb nackt aus der Wohnung und trafen dort unsere neuen Nachbarn zum ersten Mal.
Für uns Erwachsene war daher der Sirenenalarm dieses Mal keine gänzlich neue Erfahrung. Aber dieser Krieg ist der erste für uns als Eltern von Kindern, die Fragen stellen: »Warum schießen sie auf uns?« »Was wollen sie mit unserem Dorf?« »Wollen sie Juden töten?« Diese Fragen der Kinder schmerzen. Wo haben sie aufgeschnappt, dass es ein Raketenterror gegen Juden ist? Vielleicht von Freunden? Ich habe ihnen das nicht erzählt, denn gute Antworten darauf habe ich selbst nicht. Der 6-Jährige hat es sichtbar am schwersten. Er weint nachts, er hat Angst, in seinem Bett zu schlafen und träumt Albträume von Raketen. Die kleinste sagt nur »Angst«. Der Große aber hat sich Lösungen für die Situation überlegt, die ich scharf kontern muss: »Nein, in Gaza leben auch normale Menschen die auch Kinder haben und die auch Angst haben, noch mehr als wir, die wir das Privileg eines eigenen Bunkerzimmers mit bequemem Schlafsofa haben. Auch diese Menschen verdienen es in Frieden zu leben, genau wie wir. Sie können nichts für die Hamas.«
Die Angst der Kinder kann sich zu Traumata und Hass auswachsen. Das zu verhindern, ist meine Aufgabe als Vater. Meine Kinder sollen, wenn irgend möglich, Teil der Lösung dieses Konfliktes werden und keinesfalls Teil des Problems.
Als die Hamas sich im Gazastreifen an die Macht putschte, war die Hälfte der heutigen Bevölkerung Gazas noch nicht geboren. Diese jungen Menschen kennen kein anderes Leben als das in einem Terrorregime. Ein Regime, das sie zum Hass erzieht und die, die sich nicht erziehen lassen, dazu zwingt.
Der Krieg tobt weiter, aber bei uns ist es wieder still. In Ra’anana leben so gut wie keine arabischen Israelis. Die wenigsten Orte in Israel haben eine gemischte Bevölkerung. In diesen aber herrschen aktuell bürgerkriegsähnliche Zustände: Lod, Haifa, Jaffa und andere Städte ächzen unter der Gewalt, die sowohl von arabischer als auch von jüdischer Seite ausgeht. Synagogen wurden abgebrannt, Moscheen angegriffen, Autos angezündet und es gab versuchte und erfolgreiche Lynchmorde.
Mein arabischer Freund aus Jaffa schrieb: »Keep save, don‘t enter Jaffa« Und trotz allem: Wir haben uns geschworen, Freunde zu bleiben, wenn das alles vorbei sein wird. Aber die Gesellschaft dieses Landes ist um Jahrzehnte zurückgeworfen. Diese Ausschreitungen haben mehr Schaden angerichtet als alle 3500 Raketen, die seit dem 10. Mai durch die Hamas auf Israel abgeschossen wurden.
Aber immerhin: Seit drei Tagen bleiben die Sirenen bei uns still. 

 

Eliyah Havemann, geboren 1975 als Felix Havemann und Sohn von Wolf Biermann und Sibylle Havemann, konvertierte zwischen 2007 und 2009 zum Judentum und wanderte 2010 nach Israel aus. Er lebt heute als modern orthodoxer Jude mit seiner Familie in der Nähe von Tel Aviv und arbeitet als Produktmanager im israelischen ...

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