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Ein Brief von Jenny Friedrich-Freksa

Jenny Friedrich-Freksa, geboren 1974 in Berlin, studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste Berlin. Nach Aufenthalten in Paris, Genf und Rom arbeitete sie für die Süddeutsche Zeitung in München. Heute ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift KULTURAUSTAUSCH in Berlin. 2019 erschien von ihr »Pferde« bei Hanser Berlin.

3. April 2020

Hallo Gott,

na?

Wie geht’s? Hier herrscht die Ruhe vor dem Sturm, sagt Jens Spahn. Kennst du Jens Spahn? Na, egal. Wir haben hier ein neues Virus, das sich sehr schnell verbreitet. In Deutschland sind die Leute bisher aber ruhig. Wir rasten nicht aus. Und wenn, dann nur ganz kurz und nur in ganz kleinen Dosen. 

Wir bleiben drinnen. Eine Freundin schreibt jeden Gedanken ins Internet, eine andere kann nicht aufhören zu telefonieren. Ein Freund mit angeschlagenem Immunsystem geht nur noch nachts raus. Selbst die Hunde sind depressiv.

Allen fällt auf, dass sie was anderes vom Leben wollen. Alle werden weicher.

Nachts, so um drei oder vier, sind jetzt die Fenster erleuchtet. Man sieht Nachtischlampen und Schreibtischlampen und Stehlampen in den Zimmern, Fernsehbildschirme, Laptopmonitore. Der Mann von gegenüber, der mit der Katze, macht sich manchmal eine Kerze an (vielleicht macht er es auch für dich oder für die Katze, eine Kerz‘ für die Katz‘, aber ich schweife ab).

Manchmal stelle ich mir die Zukunft vor, die ferne Zukunft, die im Oktober oder November: Wie lauter langhaarige, extrem ausgeschlafene, kapitalismuskritische, durchmeditierte Entscheidungsträgerinnen und Bedenkenträger wieder im Leben auftauchen und etwas Neues erfinden werden, ein neues Evangelium oder ein neues Start-Up, je nachdem, was dann günstiger ist. 

Ich hoffe, du hast es schön, wo immer du gerade bist. Schau lieber nicht nach Mailand oder Bergamo, da wird dir schlecht. Ich weiß, ich melde mich sehr selten, aber aus Angst gläubig werden, das passt irgendwie nicht in mein Weltbild, bisher jedenfalls.

Aber wir werden uns wiedersehen, Gott, das steht fest, bei dir oder bei mir, oder vielleicht sogar im Dom in Mailand, einem der unterhaltsamsten Orte, den je ein Kirchenbaumeister geschaffen hat. Ich würde ein Licht für dich anzünden.

Bis dahin bleib gesund,
J.

 

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