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gänseklein und federkleid

Im Adventskalender des S. Fischer Verlags veröffentlichen wir an vier Dezemberfreitagen jeweils eine weihnachtliche Geschichte. In der zweiten Geschichte schreibt unser Autor Ferdinand Schmalz über Spuren im Schnee und eine brennende Christbaumkerze, die vergessen wurde.

Porträt des Autors Ferdinand Schmalz mit Anzug, Krawatte und Hut vor schwarzem Hintergrund. Er trägt einen Schnurrbart und blickt direkt in die Kamera
© Apollonia T. Bitzan

dort mitten auf dem tisch liegt zwischen angebissnen zimtsternen, zwischen umgekippten weingläsern und bergen von geschenkpapier, dort in der federweißen kasserole, liegt sie, die weihnachtsgans, in ihrem saft, oder besser was von ihr noch übrig ist. die arme und die beine hat sie müssen lassen schon. doch da am brustkorb hängt noch zart das feinste gänsefleisch. weshalb jetzt martin sie auch in die küche trägt um dort die letzten reste dann vom knochen abzulösen, die man sich morgen als gänseklein wird nochmals aufgewärmt dann zu gemüte führen. und während martin da am küchentisch die finger in die gans reingräbt. steht claudia am fenster. sieht rein da in den schnee, der weiß vor der terrassentüre liegt, und immer grauer wird der schnee je weiter sie hinein da in den garten blickt, bis er ins tiefste schwarz der nacht verläuft. du hast nicht mitgesungen, claudia. das ist mir aufgefallen, dass du nicht mitgesungen hast. die lippen mitbewegt, das schon, nur nicht gesungen. sagt er, der martin, und legt die ausgelösten muskelfasern in der pfanne ab. ich sing halt nicht so laut wie deine mutter. das kann schon sein, dass du mich überhört dann hast, weil deine mutter alles übertönt. und hört mans knacken jetzt, weil martin nun mit der geflügelschere den innenraum der gans aufbricht, wo sich noch etwas füllung drin versteckt. da meint die claudia, dass sie da draußen, dort im pulverschnee, komm doch mal her, da sieht man spuren, da im schnee. als wär ein kind da durch den frischen schnee gelaufen. sagt sie, die claudia. und er sagt nur: was du schon wieder siehst. wie soll denn hier ein kind in unsren garten reingekommen sein und das am heiligabend. wie soll das gehn, vor allem seit man sich den neun zaun hat angeschafft, der ungebetne gäste effizient vom leibe hält. der garten, der ist kindersicher eingehegt.  und claudia, die immer noch nicht locker lässt: wenn ichs dir sag, das sind die fußstapfen von einem kind da draußen. woraufhin martin sich das gänsefett da in die schürze schmiert, um neben claudia sich jetzt zu stellen. so stehen sie die beiden, die blicke raus ins schneegestöber, das dichter wird. und kneifen ihre augen, kneifen sie zusammen um da im rauschen etwas zu erkennen. also das könnte auch ein tier gewesen sein. ein hase oder marder, könnt eine lücke sich am zaun gegraben haben. er werde morgen mit dem karli den zaun dann abspazieren und nach der stelle, dieser undichten, dann ausschauhalten. und jetzt lass gut sein claudia, es ist wohl auch der stress der weihnachtstage, der einem übel mitspielt schon. und schenkt nun martin noch zwei gläser von dem teuren rotwein ein, den er am nachmittag schon dekantiert. und pflanzen sich die beiden nochmal auf die couch da vor den weihnachtsbaum, wie riesen, karlis modelleisenbahn zu ihren füßen. kurz gehen sie noch ihren fahrplan für die feiertage durch, morgen onkeln und tanten, zu stephanie dann freunde von früher, bis endlich der wein die süße schwere in den gliedern drin entfalten kann. und auch die augenlieder werden ihnen bleiern jetzt, fallen ihnen in den blick. und hören sie, die beiden, kurz bevor sie weggedämmert sind, hören sie, die beiden, hörens an der türe klopfen, und wollen es nicht hören. wollen dieses klopfen an der türe nicht mehr hören, schlafen lieber ein. und sehen nicht, dass auf der christbaumrückseite, auf einem ganz versteckten ast noch eine kerze brennt. das rote wachs wie dickes blut schon auf die tannennadeln tropfend, brennt dort ein kleines flämmchen vor sich hin. Ganz still ist nun die nacht und auch das haus, worin sie alle schlafen.

nur dass dem kleinen karli da, in seinem kinderbett, da in dem kinderkörper drin von ihm, da in dem kindermagen liegt nun schwer die ganze gänsekeule, die er heute abend in sich reinverspeist. und wälzt sich drum der kleine karli hin und her. egal wie er auch liegt, die keule drückt ihn noch. will nicht recht schlafen er. steht auf und tapst bloßfüßig da die treppe zu den eltern runter. will sich zu ihnen legen. auf das sofa zu den eltern kuscheln. da hört auch er es an der türe klopfen. und geht drauf zu, aufs klopfen zu. steht vor der glastür draußen, in dem lichtkegel, der sich hat in das dichte schneegestöber reingeschnitten, steht ein kind. ein kind im federkleid. sein körper dicht bedeckt von weißen federn. kommt ganz nah ran da an die scheibe, dass nun der atem es beschlägt, das glas der tür. im rhythmus seiner atemzüge wird es trüb. verwischt ihm das gesicht, in dem nur augen und das rote näschen, schauen raus zwischen dem weißen flaum. da kommt auch karli ganz nah ran jetzt an die scheibe und lächelt raus, dem weißen gegenüber rein in sein gesicht. steht stumm da in der kälte. und zeigt, zeigt mit den kleinen fingern, es, das kind. zeigt da ins wohnzimmer hinein. und dreht sich karli um, sieht da den christbaum und die kerze die noch brennt. und will sich umdrehen und wieder seinen neuen freund, den weißgefiederten, ansehen. doch als der blick von ihm wieder hinaus, da vor die türe raus wandert. sieht er nur flocken durcheinanderwirbeln mehr, um wieder auf den boden dann zu sinken. das federkind verschwunden aus dem lichtkegel. und öffnet jetzt die tür, das kann er erst seit kurzem, das türeöffnen, er, der karli, um nach dem kind im federkleid zu sehen. da kommt ein wind von draußen rein, ein wind von weit, weit her. knallt sie, die türe auf, dass auch die eltern aus dem schlaf aufschrecken und zu dem karli stürzen, der da im eiswind vor der türe steht. fällt rein ins wohnzimmer, raschelt da in all diesen geschenkpapieren, stößt gläser um, die klirrend auf dem boden landen. und auch die kerze da am baum, die fast schon an die trocknen nadeln rangereicht, wird von der böe ausgeblasen. und sind sie so, die drei, noch einmal mit dem schreck, wie man so sagt, davongekommen. nur karli hat noch öfter von dem federfreund gesprochen, bis es der vater ihm verboten hat.

Ferdinand Schmalz, geboren 1985 in Graz, aufgewachsen in Admont in der Obersteiermark, erhielt gleich mit seinem ersten Theaterstück »am beispiel der butter« 2013 den Retzhofer Dramapreis und wurde zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Sein Stück »jedermann (stirbt)« wurde am Burgtheater uraufgeführt und mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet. 2017 nahm er an ...

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Der Debütroman von Ferdinand Schmalz

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