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Kate Davies über ihren Roman Love Addict

In Kate Davies' Debütroman »Love Addict« geht es um Einvernehmlichkeit beim Sex, gleichberechtigte Partnerschaften und queere Kultur. Kate erzählt, was sie zum Schreiben inspiriert und was der Roman bei ihr selbst und ihren Leser*innen in Gang gesetzt hat.

114 Kate Davies Pride
© (c) Idil Sukan

Als ich mich mit 25 endlich als lesbisch outete – nach zehn Jahren internalisierter Homophobie, in denen ich mir eingeredet hatte, ich würde nicht wirklich auf Frauen stehen, weil meine Verknalltheiten »zu intensiv« waren, um etwas Sexuelles zu sein -, war ich überglücklich. Queere Clubs waren jetzt meine Clubs! Dusty Springfield, Carhartt-Hosen, vegetarisches Essen, die Farbe Pink. Das alles gehörte jetzt mir! Ich war, das muss ich leider zugeben, unglaublich selbstzufrieden. Ich glaubte, ich wäre dem Patriarchat entronnen. Ich hatte Penis-zentriertem Sex eine Absage erteilt und ging davon aus, dass ich jetzt, da ich Frauen datete, eine wahrhaft gleichberechtigte Beziehung führen und reichlich feministischem Sex frönen würde. Tja, ganz so kam es nicht.

Ich bin immer noch überglücklich, lesbisch zu sein, aber mittlerweile weiß ich, dass es in allen Beziehungen Machtgefälle gibt, egal ob man mit einer Frau oder einem Mann zusammen ist. Natürlich gibt es die. Warum hatte ich etwas anderes erwartet? Zum Teil wohl, weil es in der populären Kultur so wenige Darstellungen lesbischer Beziehungen gibt. Als ich mich an meinen Debütroman Love Addict machte, wollte ich das Thema angehen.

Love Addict erzählt die Geschichte von Julia, einer 26-jährigen Londonerin, die sich, wie ich, eines Tages mit Karacho outet, froh über ihr Queersein und wild entschlossen, eine Person zu finden, mit der sie lesbisch sein kann. Sie verliebt sich in Sam, eine lesbische Künstlerin, die auf BDSM und Polyamorie steht – eine Frau, die sie für eine »fortgeschrittene Lesbe« hält –, und findet sich bald außerhalb der eigenen Komfortzone wieder. Aber vielleicht ist das ja okay! Sie hat sich gegen Heterosexualität entschieden, vielleicht sollte sie sich auch gegen Monogamie entscheiden! Sie hat noch nie einen Dreier in einem Folterkeller geschoben, aber sie ist immer offen für Neues! Julia lässt sich auf alles ein, was Sam will, aber mit der Zeit merkt sie, dass sie keine Lust mehr dazu hat. Und sie weiß nicht, wie sie aus der Nummer wieder rauskommt.

Bei meinem ersten Interview zu Love Addict erwischte mich eine Frage der Journalistin ziemlich unvorbereitet. Sie fragte mich nach einer missbrauchenden sexuellen Begegnung im Roman – nicht zwischen Julia und Sam, sondern zwischen Julia und einem Mann, ein furchtbarer One-Night-Stand, der sich am Anfang des Romans ereignet. Julia lernt bei einer Party einen Typen aus Irland kennen und geht mit ihm nach Hause. Er kann seine Erektion nicht aufrechterhalten und wirft Julia vor, sie habe seinen »Penis kaputtgemacht«. Ihr glaubt gar nicht, wie ich beim Schreiben darüber gelacht habe. Ich fand die Szene lustig, schmerzlich, wahr, ein kathartischer Moment, in dem die Leserinnen und Leser sich wiedererkennen würden. Doch die Journalistin bekannte, sich beim Lesen extrem unwohl gefühlt zu haben, und fragte, ob ich die Szene geschrieben habe, um vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte das Thema Einvernehmlichkeit und Missbrauch zu beleuchten. Ihre Frage war eine Offenbarung. Ich hatte 2011 mit dem Schreiben begonnen, noch vor der #MeToo-Bewegung, bevor ich mich wirklich mit meinen eigenen sexuellen Erfahrungen befasst und mich gefragt hatte, ob ich immer mit allem einverstanden gewesen war, was mir passiert ist. Und ich muss leider sagen, dass die Episode im Roman eine kaum fiktionalisierte Schilderung jener Nacht ist, in der ich meine Jungfräulichkeit verlor.

Ich war zwanzig, als ich das erste Mal mit einem Mann schlief, und kam mir unglaublich alt vor. Ich wollte es unbedingt hinter mich bringen, und deshalb trieb ich es in einem schmalen Bett in meinem Studierendenwohnheim mit Hamish (der nicht wirklich so hieß), einem Schotten mit bemerkenswert großen Zähnen. Wir waren beide ziemlich betrunken, aber wir taten es trotzdem. Ich hatte keinen Spaß daran und wollte, dass es schnell vorbeigeht, weshalb ich einen Orgasmus vortäuschte (auf der Grundlage meiner Fernsehkenntnisse – ganz Harry und Sally). Hamish war noch nicht gekommen, doch weil bei heterosexuellem Sex so oft das Vergnügen des Mannes im Mittelpunkt steht, war er wild entschlossen, es bis zum Orgasmus zu bringen. Er bat mich um einen Blowjob, aber nach gut zehn Minuten (in denen er mir vorwarf, es nicht »richtig zu machen«) stieß er mich weg und fing an zu wichsen. Ich kniete neben ihm auf dem Teppich. Mehr als eine Stunde lang. Er war zu betrunken, um zu ejakulieren, behauptete aber, es sei meine Schuld – ich hätte seinen »Penis kaputtgemacht« -, und ich glaubte ihm. Schließlich hatte ich null sexuelle Erfahrung. Ihr glaubt nicht, wie sehr ich mich am nächsten Tag geschämt habe – und noch viele Tage danach. Ich habe mich schmutzig, unfähig und benutzt gefühlt. Nach ein paar Tagen fand ich heraus, dass er einem anderen Mädchen auch schon vorgeworfen hatte, sie habe seinen Penis kaputtgemacht. Sie war erfahrener als ich und hatte genügend Selbstachtung besessen, um das Zimmer zu verlassen, als der Marathon begann. Aber bis die Journalistin mich nach der Szene in meinem Roman fragte und die Begegnung »missbrauchend« nannte, hatte ich sie selbst nie so verstanden.

Vielleicht fragt ihr euch, warum ich in meinem Debütroman ausgerechnet über den schlimmsten Sex meines Lebens schreiben wollte. Vielleicht fragt ihr euch, warum ich jetzt darüber berichte und ihn nach fast zwanzig Jahren ein weiteres Mal durchlebe. Ich tue das, weil ich komplett unterschreiben würde, was Nora Ephron am Ende ihres brillanten (autobiographischen) Romans Sodbrennen sagt:

»Warum hast du das Gefühl, du müsstest aus allem eine Geschichte machen?«, fragte Vera.
Also sagte ich ihr, warum.
Wenn ich die Geschichte erzähle, kann ich die Spielart bestimmen. 
Wenn ich die Geschichte erzähle, kann ich dafür sorgen, dass Sie lachen, und das ist mir lieber, als wenn ich Ihnen leid täte.
Wenn ich die Geschichte erzähle, tut es nicht so weh.
*

Von Julias schrecklichem One-Night-Stand und von Julias Beziehung zu Sam zu erzählen ist meine Art, wieder die Kontrolle zu übernehmen. Und es ist eine Möglichkeit, Gespräche anzustoßen, die es nicht gab, als ich erwachsen wurde, Gespräche über Sex, Einvernehmlichkeit und Missbrauch. In den letzten Jahren ist darüber sehr viel offener diskutiert worden. Love Addict ist Teil einer Welle in der Populärkultur, zu der auch Fleabag, Girls und I May Destroy You gehören, die alle die Frage umkreisen, was beim Sex akzeptabel ist und was nicht. Ich hoffe sehr, dass die Gespräche, die wir jetzt führen, jungen Menschen das Selbstvertrauen verleihen, im Falle eines angeblich kaputten Penis einfach aufzustehen und zu gehen. Und dass sie ihnen die sprachlichen Mittel bereitstellen, um missbrauchendes Verhalten zu benennen, wenn sie damit konfrontiert sind, in queeren Beziehungen genauso wie in heterosexuellen. 

Die berührendsten Leserzuschriften, die ich erhalten habe, sind E-Mails, in denen mir Menschen erzählen, ihre Beziehung als missbrauchend erkannt und beendet zu haben. Sehr, sehr stolz machen mich auch die Nachrichten von Frauen, die nach der Lektüre meines Romans realisiert haben, dass sie queer sind, und die loszogen und zum ersten Mal mit einer Frau im Bett waren. Ja, Missbrauch kann sich in allen Beziehungen ereignen, und nein, mit einer Frau zusammen zu sein löst das Problem des Patriarchats nicht, aber dass ich queer bin, mag ich immer noch besonders an mir, und ich bin stolz darauf, einen Roman geschrieben zu haben, der anderen dabei hilft, genau das auch an sich zu mögen.

 

Aus dem Englischen von Britt Somann-Jung

 

 

* Zitiert nach: Nora Ephron: Sodbrennen. Aus dem Amerikanischen von Ursula Gaïl. München 1984

Kate Davies ist in London geboren und aufgewachsen. Bevor sie Schriftstellerin wurde, studierte sie Englische Literatur in Oxford und schrieb und lektorierte Kinderbücher. Sie ist außerdem Drehbuchautorin und hatte eine kurze Karriere als Burlesque-Tänzerin, die ein abruptes Ende fand, als Kate, als Bingo-Ball verkleidet, in einem konservativen Londonder Pub von ...

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