Es muss vor knapp zwei Jahren an einem ansonsten bedeutungslosen Nachmittag gewesen sein, als Jakob mich mehr oder weniger unvermittelt fragte, ob ich »Rick and Morty« kennen würde. Ich dachte erst, das wäre wieder irgendeine Arthouse-Sache aus den 80ern, und war dann doch sehr erleichtert, dass er bloß von einer Zeichentrickserie sprach.
Es gibt ziemlich viele Dinge in »Rick and Morty«, über die man Kolumnen mit interessanten Überschriften in interessanten Printmedien schreiben könnte; Roy – A Life Well Lived zum Beispiel. Ich selbst lag mehrere Wochen lang abends wach und konnte – ich schwöre es – nicht einschlafen, weil ich Zitate aus Staffel 1 und 2 wieder- und wiederkaute.
Am besten gefallen mir die Momente, in denen irgendwelche unbeteiligten Neben-Neben-Figuren in den Explosionsradius von Ricks Sci-Fi-Kram geraten. Da gibt es zum Beispiel diese Szene in 104, wo es am Ende der Folge in einer Restaurantküche zu einer Geiselnahme kommt. Unter den Geiseln ist auch eine Frau, die eigentlich ja nur Spaghetti aglio olio oder so was essen wollte, sich aber nun im Schwitzkasten eines humanoiden, blauen Wesens wiederfindet, das ihr eine entsicherte Glock an die Schläfe hält und droht, ihr das Gehirn rauszuschießen, sollte ein Mann namens Jerry nicht sofort aus dem Kühlraum des Restaurants hervorkommen.
Es ist überhaupt ein ganzer Haufen dieser blauen Wesen vor Ort. Sie nennen sich Meeseeks und haben noch drei weitere Geiseln in ihrer Gewalt. Einer der Meeseeks schreit dem Mann namens Jerry im Kühlraum zu, dass sie, die Meeseeks, nicht dazu geschaffen seien, nach irgendeinem Sinn in der Welt zu suchen, sondern nur existieren würden, um einem singulären Zweck zu dienen, den sie unter allen Umständen erfüllen müssen: »Existence is pain to a Meeseeks, Jerry. And we will do everything to elevate that pain.« Die Frau und die anderen Geiseln sind voller Angst. Einer der Geiselnehmer zerrt die Frau vor die Glasscheibe der Kühlraumtür und fragt sie, wie sie heißt. Samantha, sagt sie und fleht den ihr unbekannten Mann namens Jerry an, dem blauen Wesen zu geben, was es verlangt. Oha.
Dann öffnet sich plötzlich die Tür zum Kühlraum und ein Mann in einem geschmacklosen, grünen Poloshirt tritt hervor. Er legt eine Tomate auf den gekachelten Küchenboden, holt mit einer Regalstange weit aus und schlägt die Tomate in einen der herumstehenden Kochtöpfe, woraufhin die blauen Wesen in frenetischen Jubel ausbrechen, nur um sich kurz darauf in Luft aufzulösen. Und in eben dieser zweiminütigen Szene gibt es eine kurze Nahaufnahme – irgendwo zwischen dem Befreiungsjubel und dem Verschwinden der Meeseeks –, in der man das angstverschwitzte Gesicht von Samantha sehen kann und wie sie im Schwitzkasten ihres nicht-menschlichen Geiselnehmers ungläubig stammelt: »What the fuck is going on?«
Wir wissen das natürlich, weil wir den Inhalt der Folge bis zu dieser Szene und überhaupt die ganze Serie kennen. Wir wissen, dass Jerry mit dem geschmacklosen Shirt nicht nur der Vater von Morty, sondern auch ein unheilbarer Versager ist, und dass Morty wiederum der Enkel von Rick ist, einem anarchistischen Wissenschaftler, mit Alkoholproblem, der sich und seine Familie ständig in irgendwelche interdimensionalen Abenteuer reinzieht, und dass auch die ganze Meeseeks-Sache auf seiner Gleichgültigkeit für die Konsequenzen seiner Handlungen gewachsen ist.
Das wissen wir, nicht aber Samantha und die anderen Geiseln, die – wie im Grunde sämtliche Figuren der Serie, auch die Meeseeks – kollaterale Komparsen des größeren Chaos und der Vernichtung sind, die Rick und seine Sci-Fi-Unternehmungen verursachen. Solche Figuren gibt es natürlich auch bei den dümmsten Filmen und Romanen, wo Leute aus irgendwelchen brennenden Vereinshäusern gerettet, von Linienbussen überfahren oder von hundegroßen Wespen gefressen werden. Da dienen sie aber in der Regel vor allem dem Zweck, das übergeordnete Narrativ und das Bild, das wir von den Protagonistinnen haben sollen, zu amplifizieren. In RaM wird ihre Ratlosigkeit und Geworfenheit irgendwie weniger instrumentalisiert, kann mich aber auch täuschen, kein Plan.
Ich denke da beispielsweise an den Rezeptionist in 206, der plötzlich vom vorbeirennenden Rick erfährt, dass sein gesamtes Dasein eine Lüge ist; weil der Planet, auf dem alles, was er kennt und liebt, nur dazu dient, die Batterie in Ricks Raumschiff anzutreiben und sein Handy aufzuladen. Oder die zwei sprechenden Telefone in 109, die auf Pizzastücken sitzen und über einen winzigen Menschen zwei Portionen Stühle (!) Essen bestellen, als Rick und Morty (also dem Äquivalent von zwei Telefonen in diesem Universum) durch ihr Wohnzimmer rennen und die beiden ihnen ungläubig hinterher starren. Oder der Roboter mit Meme-Status und scheinbarer AGI (auch aus 109), den Rick kurzerhand beim Frühstück baut und der auf die Frage »What is my purpose?« von seinem Schöpfer die Antwort »You pass butter.« erhält und daraufhin völlig hoffnungslos seine kleinen Robohände anschaut.
Nachdem wir zwei oder drei Folgen am Stück gesehen hatten, meinte Jakob irgendwann, das reiche fürs Erste, was ich nur schwer ertragen konnte. Um klarzukommen, gingen wir in die Hasenheide und spielten Tischtennis. Danach erzählte ich ihm von einem Alptraum, in dem es darum ging, dass ich nicht genau wusste, ob ich nachts auf dem Weg nach Hause Menschen ermordet hatte. Er erzählt mir im Gegenzug auch einen Alptraum. Er spielte auf einem Kreuzfahrtschiff und endete in einem Fahrstuhl.
Extras
Kollaterale Komparsen im Weltraum und im Restaurant
Zurzeit wird in den USA die dritte Staffel der Science-Fiction-Comicserie »Rick and Morty« ausgestrahlt. Unser Autor Juan S. Guse schreibt über die irritierenden kleinen Szenen, die ihm an der Serie am besten gefallen.