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Danksagung zum Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung 2019

In diesem Jahr ging der Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung zur Förderung junger Künstler*innen an Miku Sophie Kühmel. Unsere Autorin wurde für ihren Debütroman »Kintsugi« ausgezeichnet. Lesen Sie hier ihre Dankesrede, die sie am 29. Oktober 2019 im Frankfurter Literaturhaus hielt.

Miku Sophie Kühmel
© © Andreas Labes

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Auszeichnung dieses Romans – ich hoffe, Sie geben mir an dieser Stelle Zeit für folgende Zeilen.

Der Literaturkritiker Stefan Mesch twitterte: »Ich lese die ersten 10 Seiten eines deutschen Gegenwartsromans und zwei Männer betreten ein Haus, das sie offensichtlich gemeinsam (!) bewohnen. Meine Vermutungen: A) Es sind Brüder, B) es ist eine WG oder C) nur der eine wohnt da, der andere ist der Innenarchitekt.«

Kintsugi ist nicht auf den ersten Blick ein politischer Roman. Aber Max, Reik, Tonio und Pega sind eine Familie. Eine moderne Familie, die zusammenhält, sich stützt, bedingungslos. Ein Mädchen, das mit drei Vätern aufgewachsen ist. Zwei Männer, die zwanzig Jahre lang eine glückliche Beziehung geführt haben, mit Höhen und Tiefen, aber auch mit wirklich gutem Sex und einer tiefen Verbindung. Dabei geht es auch um Repräsentanz, wie das Eingangszitat von Stefan Mesch zeigte: Derlei Beispiele sind immer noch selten, auch, wenn es für manchen, der nicht »betroffen« ist, banal erscheinen mag. Carolin Emcke sagt:

»[…] es ist bequem, über Geschlecht als Kategorie herzuziehen und anderen vorzuwerfen, sie machten daraus eine Ideologie, wenn das eigene Geschlecht nicht in Zweifel gezogen und benachteiligt wird; es ist einfach, Sexualität für etwas Intimes und Privates zu halten und irritiert zu reagieren, dass andere darüber sprechen, wenn der eigenen Sexualität zugestanden wird, etwas ganz Normales und Persönliches zu sein.«

Die Debatte über geschlechtergerechte Sprache und geschlechtliche Identität als »Gender-Gaga« abzutun, fällt genau in diese Kategorie von Ignoranz, Selbstsucht und Abgrenzung. Es gibt politische Stimmen, die Lebenswirklichkeiten wie die von Max und Reik als »perversen Zeitgeist« bezeichnen und die davon sprechen, Homosexualität etwa höchstens ertragen zu müssen, aber auf keinen Fall zu akzeptieren.

Diese politischen Stimmen wurden in dem Bundesland, in dem ich aufgewachsen bin, erst am Wochenende in überwältigendem Maße gewählt – ganz besonders stark sind sie in allen Wähler*innengruppen unter Sechzig. Egal, ob die Stimmvergabe im Einzelnen trotz oder wegen des faschistischen Spitzenkandidaten dieser Partei passierte: Es herrscht offensichtlich eine gefährliche Bereitschaft zur Exklusion. Dazu, sich kämpferisch-ideologisch abzugrenzen, Fälle von Terrorismus zu verharmlosen, und zu ignorieren, wie viele Menschen in ihrer Lebensweise eingeschränkt werden zugunsten des eigenen Wohlfühlens oder – und das ist dann noch schlimmer: mit genau dem Ziel der Ausgrenzung, der Anfeindung, des Faschismus.

Ich weiß nicht, woher diese Empathielosigkeit kommt, und warum so wenige Menschen verstehen, dass Freiheit für Individuen Vielfalt für die Gesellschaft und damit wiederum Freiheit für das eigene Leben bedeuten. Individuum & Gesellschaft stehen in einem dialektischen, nicht auflösbaren Verhältnis zueinander – und auch deswegen ist Kintsugi am Ende auch ein politischer Roman.

Die Frankfurter Buchmesse ist erst einige Tage her. Dort sprach mich ein Buchhändler an: »Frau Kühmel, sie sind ja eine tolle junge Frau. Aber mussten Sie denn über Schwule schreiben?«

Ja. Muss ich. Und will ich. Weil ich eine Selbstverständlichkeit einfordere, die noch lange nicht erreicht ist und weil ich damit politisch bedrohte Rechte verteidige, die eben erst erkämpft worden sind. 

Wann, wenn nicht jetzt?

Miku Sophie Kühmel wurde 1992 in Gotha geboren. Sie hat Literatur- und Medienwissenschaften studiert – kurz in New York und länger in Berlin, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie ist freie Schriftstellerin und produziert verschiedene Podcast-Formate. Nach Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften erschien 2019 ihr Debütroman »Kintsugi«, für den ...

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