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V50

In seinem Debütroman ›Lärm und Wälder‹ bereiten sich Prepper auf den Zusammenbruch der Gesellschaft vor. Juan S. Guse erklärt, was ihn an diesem Phänomen interessiert.

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© © Jörg Steinmetz

Wie die meisten technischen Apparate ist auch ein Vakuumiergerät wie die Allpax V50 nicht zuletzt ein übermächtiges Versprechen der Menschen an die Menschen: Nichts von euren Gütern muss zu Staub verfallen, keine eurer mühsam zusammengetragenen Lebensmittel müssen zwischen euren Händen verderben, modrig und faul werden, und eure Glocks nicht rosten, die Früchte eurer Arbeit, der angehäufte Besitz, niemand wird euch all dies nehmen können, denn der Sieg über das Sterben der Dinge durch die Zeit, er ist möglich.

Richtig ist zumindest, dass man nahezu alles vakuumieren[1] und dadurch bis zu einem gewissen Grad vor Oxidation und Bakterien- bzw. Pilzsporen schützen kann, wodurch Verwesungsprozesse mitunter signifikant verlangsamt werden. Das ja. Das Besondere an Maschinen wie der V50, die bis zu 50 cm breite Kunststoffbeutel verschließen kann, ist, dass sie nicht nur in der Lage sind, größere Mengen an Fleisch oder Gemüse, sondern ebenso auch eine Mossberg Schrotflinte zu versiegeln wie einen Schmetterling.

Das macht die V50 gerade für Prepper interessant, spielen doch die Konservierung sowie das Horten von eben solchen Dingen eine zentrale Rolle in deren Kultur, deren Logik und Rhetorik. Als Prepper werden gemeinhin Menschen verstanden, die sich systematisch auf Katastrophen im großen Stil vorbereiten, indem sie horrende Mengen an Lebensmitteln und Überlebensutensilien (Wasserreinigungstabletten, Verbandszeug, Waffen, usw.) lagern; gerne auch in kleineren Schutzbunkern oder -räumen. Entsprechend befinden sich Prepper in einem Zustand der permanenten Vorbereitung auf den vermeintlich unmittelbar bevorstehenden Untergang durch Krieg, Naturkatastrophen, Untote, Viren oder einen wirtschaftlichen Kollaps.

So banane ein derart konkretes teleologisches Herbeifantasieren eines Zivilisationszusammenbruchs erscheinen mag, so ubiquitär ist die Sehnsucht nach Lärm, nach Katastrophen (und dem Zustand der Welt nach eben diesen), finden wir doch dasselbe Schwelgen in all jenen kathartischen Bildern von menschenleeren Städten, ausgebrannten Autos und geplünderten Supermärkten  wieder, wie man sie zur Genüge aus Filmen, Videospielen und Romanen kennt, die eine solche Sehnsucht bedienen und ungebrochen Konjunktur haben.[2]

Und obwohl wir natürlich alle auf Fallout und den ganzen Kram stehen, schien es mir immer interessanter, nicht eine weitere Iteration dieses Untergangsnarratives zu erzählen, sondern das Phänomen als solches. Sich also zu fragen, was für eine Funktion diese Fiktion erfüllt, warum die Leute ums Verrecken nicht genug davon kriegen können und was sie über die Gesellschaft verrät, in der sie kultiviert wird. Denn auch wenn die Prä-Apokalypse nicht mit annähernd so heftigen Bildern auffahren kann wie der Untergang dieser Welt, so kann sie uns vermutlich dennoch mehr über die Ängste der Menschen erzählen.

Zum Beispiel im Anblick eines Familienvaters, der zwischen eingelagertem Milch- und Kartoffelpulver sitzend sich über sein Vakuumiergerät beugt und seine Mossberg 500 in einem reißfesten PE-Beutel versiegelt. Vielleicht hat auch er manchmal einfach nur das Gefühl, dass seine eigene Arbeit an den Docks von Miami zu nichts führt, dass alles verworren, leer und sinnlos erscheint, dass die Kündigung eines Kollegen nicht gerecht und dessen Verabschiedung herzlos war, und womöglich lag auch er schon mehr als einmal in seinem Bett und hat sich gefragt, wie lange es wohl dauert, bis ein Mensch an einem Bauchschuss verblutet.

 


[1] Das Verb »vakuumieren« wird in Wörterbüchern zwar aufgeführt, gerade in technischen Texten spricht man jedoch häufiger von »evakuieren«; was – wie vielleicht noch deutlich werden sollte – brutal ist.

[2] Eva Horn hat ein sehr gutes Buch darüber geschrieben, in dem sie viel genauer darauf eingeht, als ich das je könnte. Auch gut: Kathrin Rögglas Essay »Geisterstädte, Geisterfilme«. Wobei ich hinzufügen würde, dass die Vision vom Reboot der Menschheit (hinter der ja zunächst nur der Wunsch nach der Abwesenheit einer komplexen Gesellschaft bzw. die Sehnsucht nach archaischeren/kausaleren/selbstbestimmteren Verhältnissen steht) im Grunde nichts anderes als eine etwas pragmatischere Variante der romantisch-volkstümlichen Sehnsucht nach Natur, Archaik und Einfachheit im Sinne Hamsuns, Waggerls oder dem Sommerfest der Volksmusik ist. Ich schwöre, dass ich mir das nicht einbilde.

Juan S. Guse, geboren 1989, ist Soziologe und Autor. Seine Romane »Lärm und Wälder« (2015) und »Miami Punk« (2019) erschienen bei S. FISCHER. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem KELAG-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2022. Er unterrichtet an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

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