Auch sonst zeigt sich bald, dass hier manches anders ist als das, was wir aus deutschen Universitäten kennen. Als wir den riesigen »Bookstore« auf dem Campus betreten, sehen wir zuerst nur – Stanford-Memorabilia. Shirts, Sportklamotten, Backpacks, Tassen, Thermobecher, Campingstühle, Weihnachtskugeln – das Stanfordemblem ist überall. Das Wappen auch, erstaunlicherweise mit einem Motto auf deutsch: »Die Luft der Freiheit weht«. Schon mal gut, denken wir. Erst danach entdecken wir die Bücherregale, Reihen um Reihen akademischer Titel, so wie man es von einer Universitätsbuchhandlung erwartet. Beeindruckend, wie oft auf gewichtigen Bänden der Aufkleber »Stanford author« zu sehen ist. Wir aber wollen in die Abteilung »Fiction«: in der allgemeinen Belletristik liegen auf den Büchertischen aktuelle US-Autoren von Colson Whitehead bis Joan Didion, aber auch Bestseller wie die englische Krimiautorin Ruth Ware oder der Australier Graeme Simsion. Deutschsprachige Autoren in Übersetzung? Nun ja, die gibt es, unter »German Studies«, Goethe, Kleist – und Judith Hermann. Es ist nur eine kleine Recherche, aber was Buchkäufern auf dem Campus geboten wird, ist wichtig für das, was wir hier machen.
Wir sind hier, um mitten in der akademischen Welt Einblicke in die Praxis des Buchmarktes zu eröffnen. Die Professoren Hans Ulrich Gumbrecht (Komparatistik) und Adrian Daub (Germanistik) haben uns eingeladen, ein Seminar zu halten, in dem es um die Bedingungen geht, unter denen Bücher entstehen, die Art und Weise, wie sie verlegt und in der Presse rezipiert werden. Mit »The Life of a Text«, so der Titel des Blockseminars, wollen wir zeigen, wie der Produktionsbogen publizierter Bücher von der ersten Idee über das fertige Buch bis zur Zeitungsrezension aussieht.
Als Sabine Weigand von ihrem Schreiben erzählt, sitzen die Zuhörer enggedrängt im Seminarraum. Die Autorin situiert sich kurz innerhalb der Gattungstradition des historischen Romans, benennt William Hawthornes »Romance«-Theorie als ihre erzählerische Grundlage und erläutert dann, dass alle ihre Romane sich an realen historischen Vorbildern orientieren, denn, wie sie sagt, »ist nichts authentischer als eine Hauptfigur, die es wirklich gegeben hat.« Es gehe ihr darum, »den Lesern die Vergangenheit so nahe wie möglich zu bringen, den Abstand zwischen ›heute‹ und ›damals‹ zu verringern. Mir ist wichtig, das Denken und Empfinden der Menschen aus der Mentalität ihrer eigenen Zeit heraus zu schildern. Eine Mentalität, die uns manchmal nicht mehr zugänglich ist.« Als Beispiel zieht sie ihren Roman »Die Seelen im Feuer« heran, in dem eine Apothekerin im Jahr 1626 zusammen mit anderen Männern und Frauen in den Verdacht gerät, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Typisch für Sabines Schreiben ist eine Kollagetechnik, bei der sie ihre eigene Erzählung mit Originaldokumenten der Zeit verwebt. »Im Fall des Bamberger Hexenwahns, um den es im Roman geht, war die Quellenlage sensationell gut. Die kompletten Hexenakten aus dem 17. Jahrhundert sind uns erhalten geblieben.« Während Sabine die handschriftlichen Briefe und Prozessprotokolle zeigt und erläutert, wie sie diese für ihren Roman einsetzt, wird es spürbar still im Raum.